Donnerstag, 13. März 2014

Gottes Reich im Osten? Oder: Welche Heimat ersehnen?

Frau mit Kind, Halle-Neustadt, 2014.
Wenn ich Nachrichten über die aktuellen Vorgänge auf der Krim höre, kommt mir neben einem Beklemmungsgefühl auch die Frage nach der Heimat. Wohin gehören diese Menschen denn? – Als Russen wurden sie aus machtpolitischen Gründen einst an die ukainische Sowjetrepublik verschenkt oder umgesiedelt, als Tataren vertrieben, als (ehemalige) Soldaten der Schwarzmeerflotte in der Fremde stationiert und oft heimisch geworden. Nun sind sie russische oder jedenfalls russischsprachige Ukrainer, von denen ein Teil einen neuen Pass möchte.

Jene Menschen, die in einem totalitären System wie dem sowjetischen aufgewachsen sind und auch noch seinen Untergang erleben konnten, sind vielleicht in besonderer Weise mit der Frage nach Heimat in Berührung gekommen. Trauer um verlorene Sicherheiten in einem vielleicht nicht einmal besonders wohlgelittenen System, das untergegangen ist, kann die Mühen im neuen System zur Qual werden lassen und eine falsche Nostalgie nähren.
Mir als Ostdeutschem jedenfalls geht es beim Besuch unserer ehemals kommunistisch regierten östlichen Nachbarn oft so, dass ich mich wie in meine Kindheit versetzt vorkomme. Die Stätten meiner eigenen Herkunft kann ich zwar problemlos besuchen, die damalige Atmosphäre unsanierter Grauheit und schläfrig-trister Gestalten aber finde ich eher in Polen, Tschechien oder der Ukraine.
Dort ist das kindliche Heimatgefühl größer als in der sanierten und irgendwie geschrumpften eigenen Kindheit. Aber Kind bin ich heute ebenso wenig wie DDR-Bürger, auch wenn ich beides einmal war.

Angesichts der drohenden militärischen Eskalation auf der Krim muss ich auch an die Heimat derer denken, die als Christen leben wollen. Der Gemeinde in Philippi schreibt Paulus: "Unsere Heimat aber ist im Himmel." (Phil 3,20) Ein zwiespältiger Ausdruck, der Weltflucht bedeuten und Gleichgültigkeit gegenüber den irdischen Dingen zur Folge haben kann. Zugleich aber eine ungeheure Relativierung von politischen und nationalen Ansprüchen. Nicht diese sprechen das erste und letzte Wort über den Menschen, sondern Gott.
Fastenzeitlich gewendet: die Sehnsucht nach Gottes Nähe zieht Menschen dahin, Gegenden ihres Alltags hinter sich lassen, die falsche Prioritäten setzen. Insofern passt die Jahreslosung der Herrnhuter Brüdergemeine für 2014 sehr gut zu dieser Deutung der Fastenzeit – in freier Übersetzung: "Gottes Nähe tut mir gut" (Ps 73,28).

Wenn mit der Bitte "Dein Reich komme" (Mt 6,10) der Herrschaftsbereich des väterlichen Gottes ersehnt wird, dann geht es nicht um Kindheit, sondern um Kindschaft; nicht um ein Imperium, sondern um die Herrschaft des Friedens; nicht um Distanz zur Welt, sondern um Gottes Nähe.

Frau mit Kind, Halle-Neustadt, 2014.