Sonntag, 11. Mai 2014

Warum ich hinausgetrieben werden will

Ich versuche zu hören, wo es mich hinaustreibt.

Hinausgehen ist ein Lieblingswort von Papst Franziskus. Es ist das Mehr-Wollen, das Sich-Lösen, das In-Bewegung-Bleiben. Es meint Transzendieren des Altbekannten und ist somit auch ein Lernprozess.
Hinausgetrieben werden dagegen hört sich zunächst nicht freiwillig an. Und doch braucht es zum Aufbruch auch antreibende Gründe, die ich nicht immer mit meinem eigenen Willen identifizieren kann.
Himmel im Wasser, Briese, Birkenwerder, 2014.
Wenn ich den Text des Evangeliums (Joh 10,1-10) am "Sonntag des Guten Hirten" daraufhin ansehe, was die verschiedenen Beteiligten zu tun haben, dann geht es wesentlich darum, dass die Schafe sich vom Hirten hinaustreiben lassen (v4).
Natürlich sind die Worte ringsum sanfter und eingängiger: da wird geöffnet und hineingegangen, einer ruft und führt, andere hören, weil sie den Rufer kennen und darum folgen sie ihm (vv 2-4).
Als Menschen, die an Christus glauben und in seinen Spuren leben wollen, orientieren sich Christen an ihm, hören seine Botschaft und lassen sich von ihm anstecken zu einem Leben, das dem Wirken Gottes in dieser Welt dient.

Darum ist hören, kennen und folgen so schön. Ein Beziehungsgeschehen, das auf Freiwilligkeit und Zuwendung beruht – und es bleibt doch unglaublich zahm, indem es das Bild vom Hirten so dreht, dass es ein romantisches Ideal zeigt. Ich habe vom Hirtenberuf keine weitergehenden Kenntnisse, aber die Einsicht der Schafe, die ihrem liebevollen Hirten nachgehen war mir schon immer etwas suspekt.

Möglicherweise ist es trotzdem so – ich aber weiß von mir, dass ich manchmal getrieben werden muss. Auch dorthin, wo es mir eigentlich gut geht, auf die Weide, auch dort heraus, wo ich meine Ruhe habe und mich vor der Welt verstecken kann, aus dem Stall.

Hinausgetrieben werden finde ich aus diesem Grund passend. Und paradox – ich komme nicht von selbst hoch, wünsche mir aber oft genug, dass mir jemand einen Schubs gibt. Mein Wille ist da und nicht da. 

Spielplatz mit Baum, Rixdorf, Neukölln,
Berlin, 2014.
Der Hirte treibt mich hinaus – er meint es gut und weiß zugleich, was nötig ist. Von daher lässt sich auch das Kennen der Schafe anders sehen: weil er mich kennt, weiß er, dass Zug angesagt sein kann.

Was das Hirtenbild jedoch sprengt: Liebe und freier Wille sind nicht aufgehoben, wenn Menschen von Gottes Geist getrieben ihr Leben ändern, weil sie merken, dass ein Umlenken nötig ist. Gottes Hinwendung und Treue, sein Dranbleiben an mir auch wenn ich schwach und lau bin, sein energisches Führen – das alles steht meiner persönlichen Entscheidung und Verantwortung nicht entgegen. Ich bin kein Schaf.
Dennoch bin ich für diese regelmäßigen Anstöße und Neuausrichtungen persönlich sehr dankbar. Meine Selbstgenügsamkeit und Behäbigkeit in der Nachfolge können jedenfalls das neue Leben, das mir geschenkt ist, nicht einholen. "Fliehen wir nicht vor der Auferstehung Jesu, geben wir uns niemals geschlagen, was auch immer geschehen mag. Nichts soll stärker sein als sein Leben, das uns vorantreibt!"1

Was ich tun kann, ist zu hören, wo Er mich hintreiben will. Ich kann mich hinaustreiben lassen.




1   Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums. Das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Freiburg i.Br. 2013, Nr. 3.