Dienstag, 27. Januar 2015

Jakob Wassermann - Es ist vergeblich

Bundespräsident Gauck hat ihn heute in seiner Rede während der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus erwähnt – Jakob Wassermann, den großen Erzähler, den meisten nur durch den Caspar Hauser bekannt.
Beim Zitat des Bundespräsidenten fielen mir die folgenden Zeilen aus dem autobiographischen Buch Wassermanns "Mein Weg als Deutscher und Jude" ein, das ich vor einigen Jahren mit großem Interesse gelesen habe – und das mit einem gewaltigen Klage-Monolog schließt.
Die Resignation und Enttäuschung des deutschen Juden muss beim Abfassen 1921 schon gewaltig gewesen sein.

"Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage.
Schulkellerfenster, Dahlem, Berlin, 2014.
Es ist vergeblich, die rechte Wange hinzuhalten, wenn die linke geschlagen worden ist. Es macht sie nicht im mindesten bedenklich, es rührt sie nicht, es entwaffnet sie nicht: Sie schlagen auch die rechte.
Es ist vergeblich, in das tobsüchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen. Sie sagen: was, er wagt es aufzumucken? Stopft ihm das Maul.
Es ist vergeblich, beispielschaffend zu wirken. Sie sagen: wir wissen nichts, wir haben nichts gesehen, wir haben nichts gehört.
Es ist vergeblich, die Verborgenheit zu suchen. Sie sagen: der Feigling, er verkriecht sich, sein schlechtes Gewissen treibt ihn dazu.
Es ist vergeblich, unter sie zu gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit?
Es ist vergeblich, ihnen Treue zu halten, sei es als Mitkämpfer, sei es als Mitbürger. Sie sagen: er ist der Proteus, er kann eben alles.
Es ist vergeblich, ihnen zu helfen, Sklavenketten von den Gliedern zu streifen. Sie sagen: er wird seinen Profit schon dabei gemacht haben.
Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauen frisches.
Es ist vergeblich, für sie zu leben und zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude."1

Bleibt zu hoffen, dass die deutsche Unbelehrbarkeit heute immer mehr überwunden wird und dass schlecht von Anderen zu denken in den aktuellen Debatten abgelöst werden kann von erhöhter Einfühlung und Einsicht.
Den Schluss des Buches bildet ein fiktiver Dialog mit einem nichtjüdischen Deutschen über die genannten Vorurteile. Auf dessen Frage, was geschehen soll, was Deutschland tun solle, antwortet Wassermann:

"Ich vermag es nicht, ihm zu antworten, denn die Antwort liegt zu nahe, und ich schäme mich für ihn.
Wenn ich einen Fuhrmann sehe, der sein abgetriebenes Ross mit der Peitsche dermaßen misshandelt, dass die Adern des Tieres springen und die Nerven zittern, und es fragt mich einer von den untätig, obschon mitleidig Herumstehenden: was soll geschehen? so sage ich ihm: reißt dem Wüterich vor allem die Peitsche aus der Hand.
Erwidert mir aber einer: der Gaul ist störrisch, der Gaul ist tückisch, der Gaul will bloß die Aufmerksamkeit auf sich lenken, es ist ein gutgenährter Gaul, und der Wagen ist mit Stroh beladen, so sage ich ihm: das können wir nachher untersuchen; vor allem reißt dem Wüterich die Peitsche aus der Hand.
Mehr kann Deutschland nach meiner Ansicht gewiss nicht tun. Aber es wäre viel. Es wäre genug."2

Damit endet das Buch.
Damals wurde den Deutschen die Peitsche nur mit ungeheurer Mühe entwunden und die Opfer waren grenzenlos. Heute wissen wir (hoffentlich) – Frieden und Menschlichkeit zuerst!

Nr. 22. Schöneweide, Berlin, 2014.
1   J. Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude. München 1999, 122f.

2   Ebd., 125.