Mittwoch, 21. Oktober 2015

Alle Macht der Welt - Ein Gedanke aus "Judas" von Amos Oz

Im Roman "Judas" von Amos Oz steht ein bemerkenswerter Gedanke, der in unterschiedlichen Fassungen an diversen Orten in der Literatur, der Philosophie oder in religiösen Werken auftaucht - die Frage nach der Macht und ihren Grenzen. Im vorliegenden Roman taucht sie auf im Kontext der politischen Probleme des Nahen Ostens, die immer noch höchste Relevanz besitzen, wie nämlich der Staat Israel und seine Nachbarn koexistieren könnten.

Spielplatzgerät. Rixdorf, Berlin, 2015.
Da heißt es aus dem Mund des Protagonisten Schmuel:

"Die Wahrheit ist, dass alle Macht der Welt den Feind nicht in einen Freund verwandeln kann. Man kann den Feind zum Sklaven machen, aber nicht zu einem Liebenden. Mit aller Macht der Welt kann man einen Fanatiker nicht zu einem aufgeklärten Menschen machen. Und mit aller Macht der Welt kann man aus einem Rachedurstigen keinen Freund machen."1

Gerade Christen hat die Frage viel bewegt, wie Glaube und Gottesbeziehung glaubwürdig so gelebt werden können, dass sie überzeugen und ansteckend sind. Die Antwort lehrt Demut - wir können es nicht mit Macht, ebensowenig, wie Gott nicht mit Macht die Menschen retten konnte, sondern durch die liebevolle Hingabe seines Sohnes Jesus Christus.

Dieser Tage frage ich mich in der Situation in Deutschland und Europa, welche Macht es braucht, um die Vorurteile und Ressentiments, die Fremdenfeindlichkeit und Verantwortungslosigkeit, den Hass und die fanatische Unversöhntheit zu überwinden. Welche Macht kann Frieden schaffen?

Schmuel fährt fort:
"Habe ich damit gesagt, dass wir keine militärische Macht brauchen? Keineswegs. So etwas Dummes würde mir nicht einfallen. Ich weiß so gut wie Sie, dass unsere Macht, unsere militärische Macht, in jedem Moment, auch jetzt, da wir miteinander diskutieren, zwischen uns und dem Tod steht. Die Macht der Macht kann vorläufig unsere Vernichtung verhindern. Unter der Bedingung, dass wir immer daran denken, jeden Augenblick, dass in unserem Fall die Macht nur verhindern kann, sie kann das Problem nicht lösen."2

Die Macht aber flößt per se kein Vertrauen ein und kann Probleme nicht lösen. 


Installation. Zacheta, Warschau, 2015.
1   A. Oz, Judas. 6. Aufl. Berlin 2015, 118.


2   Ebd., 118f.