Donnerstag, 19. November 2015

Elisabeth - Macht und Ohnmacht in Marburg

Die ungarische Königstochter Elisabeth, die in jungen Jahren mit einem thüringischen Landgrafen verheiratet wurde, sich nach dessen Tod auf dem Fünften Kreuzzug und reichlichen Konflikten um die Regelungen des Erbes als Witwe zuerst aus ihrer Burg und schließlich nach Marburg zurückzog, um ihr Leben ganz in den Dienst Christi und der Armen zu stellen, sie ist eine der zwiespältigsten und zugleich eindrucksvollsten Gestalten des Mittelalters.

Landgrafenschloss, Marburg, 2015
Nicht nur ihre Orientierung am Armutsideal des Franziskus von Assisi, sondern mehr noch die Demütigungen durch ihren Beichtvater Konrad von Marburg, der sie mit den Mitteln seiner Zeit zu einer geduldigen und demütigen Heiligen formen wollte, prägten ihr entbehrungsreiches Witwenleben. Die systematische Entfremdung von Freundinnen, die Distanz zur Familie, körperliche Bußübungen, kärgliche Lebensbedingungen und harte Arbeit im Spital waren die Mittel seiner Wahl - in einem Gemisch von Rettung vor Übelwollenden, dogmatischem Eifer, spirituellen Anliegen und Machtprofilierung entfaltete sich ein Ambiente, das schwer mit unserem Bild dieser Heiligen zu vereinbaren ist.

Elisabethkirche, Marburg, 2015.
Inwieweit Elisabeth tatsächlich freien Willens einen Ausweg aus der protzenden Adelswelt zu finden und ihre Christusnachfolge leben zu können meinte, ist schwer entscheidbar angesichts der vielfältigen Abhängigkeiten und Nötigungen, denen sie unterworfen war.

Wahrscheinlich schien ihr die Unterwerfung unter den Willen ihres Beichtvaters als gottgewollter und entbehrungs-, aber auch segensreicher Weg für sich. 

Aus heutiger Sicht aber erscheint mir die Tatsache, eine solche Macht über andere aus religiösen und spirituellen Gründen ausüben zu können, nicht nur höchst fragwürdig, sondern für Christen sogar unmöglich. Wo sich jemand freiwillig in Armut und Einsamkeit begibt, mag das unter Umständen eine verdienstvolle Entscheidung sein, wo dies aber nicht mehr die unmanipulierte und wohl überlegte freie Wahl ist, sehe ich keinen Hauch des Heiligen Geistes am Werk. 
Freiheit und Liebe gehören für Christen zusammen.

Grab der Heiligen Elisabeth.
Elisabethkirche, Marburg, 2015.
Wobei vielleicht sogar unter diesen Umständen wirkliche Liebe blühen kann, bei Gott ist schließlich nichts unmöglich. 
Darum komme ich nicht umhin, Elisabeth zu bewundern (wenngleich nicht für ihre Demut), denn auch wenn sie von Konrad für dessen Vorstellungen benutzt wurde, ist sie eine zwar tragische, zugleich aber auch unheimlich wirkmächtige Heilige, von der ich hoffe, dass sie Gottes zarte Liebe auch in ihrem kurzen Leben wirklich erfahren durfte. Weitergegeben hat sie sie in jedem Fall.  

"Auf ihre Fürsprache gib auch uns den Geist deiner Liebe und leite uns an zu helfen, wo Menschen in Not und Bedrängnis sind" sagt das Tagesgebet.

Möge das auch dort gelten, wo Menschen in Unmündigkeit und Abhängigkeit festgehalten sind und nicht fähig sind, das für sie selbst Gute zu wählen und zu leben.

Graffito, Peter-und-Paul-Kirche, Marburg, 2015.