Donnerstag, 10. Dezember 2015

Das Leuchten der Anderen - Interreligiöses im Advent

Vor 50 Jahren ging das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende. Die vertiefte Selbstentdeckung der Kirche und ihre Verortung in einer säkularen Welt, ihr Verhältnis zu anderen Konfessionen und Religionen waren wesentliche Themen dieses Konzils.
Für viele heutige Christen bedeutete dies einen neuen Advent, eine Ankunft der katholischen Kirche in der Gegenwart.

Aufblick wagen. Dornburg, 2015.
"Lumen Gentium" – Licht der Völker – heißt das Dokument, in dem es explizit um die Kirche geht. Nicht die Kirche selbst aber bezeichnet sich als Licht, sondern Jesus Christus; die Kirche strahlt lediglich wie beispielsweise der Mond von der Sonne bestrahlt wird.

Gottes Leuchten aber kann sie auch bei anderen Religionen entdecken – "Was sie nämlich an Gutem und Wahrem bei ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für die Frohbotschaft und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen erleuchtet, damit er schließlich das Leben habe." (LG 16)
Die anderen Religionen seien also als Vorbereiterinnen, als Advent der Kirche wertzuschätzen.
Diese Aussage ist schon positiver als viele andere Aussagen, die es im Lauf der Kirchengeschichte gab, wenngleich die instrumentelle Funktion der anderen Religionen als vorläufige Wegweiser sich mit deren Selbstverständnis nicht decken kann.

Doch das Konzil geht noch weiter und formuliert in der Erklärung "Nostra Aetate" über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, dass Leben und Lehre anderer Religionen auch dort, wo sie von ihrer eigenen Glaubensüberzeugung abweichen, "nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet." (NA 2)
Auch bei den Anderen können Christen Wahres entdecken, sogar dann, wenn sie selber nicht daran glauben.

Darüber hinaus sollen sie „jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.“ (NA 2)
Das ist eine einsame Spitzenformulierung des interreligiösen Dialogs von christlicher Seite, die auch heute selten eingeholt wird: Das, was andere an Werten und Überzeugungen haben, die ich nicht teile, soll ich nicht nur "anerkennen", sondern auch noch "wahren" und sogar "fördern".

Eigentlich ungeheuerlich – nicht nur mein Licht auf den Leuchter stellen, sondern auch das von Menschen anderer Glaubensüberzeugungen!
Für den Islam formuliert Felix Specker beispielhaft: Hochachtung für den Islam zu haben, bedeutet keineswegs, "im Islam nur wertzuschätzen, was in genauer Übereinstimmung mit dem Christentum steht. Im Gegenteil, die kritische Unterscheidung erlaubt, Aussagen des islamischen Glaubens, die dem Christentum durchaus kritisch entgegenstehen, mit Hochachtung ernst zu nehmen. Zu nennen wäre zum Beispiel die koranische Kritik bestimmter Trinitätsvorstellungen, der Zerstrittenheit des Christentums oder des exklusiven Schriftbesitzes."1

In Zeiten von Fragen der Integration von mehrheitlich muslimischen Flüchtlingen eine spannende Haltung – ihr oft fremdes Wertgefüge auch noch zu fördern und nicht nur zähneknirschend zu akzeptieren ist eine enorme Herausforderung. 
(Ebenso wie die Unterscheidung, was achtenswert ist und was nicht, denn selbstverständlich gilt das Wahren und Fördern nicht für jede kulturelle oder religiöse Eigenheit oder Unfreiheiten fördernde Überzeugungen, das muss nicht extra betont werden.)

Aber als Denkmöglichkeit anzunehmen, dass das Fremde nicht nur toleriert, sondern auch gefördert werden kann, ist für viele Menschen offensichtlich ein ungewohnter Gedanke.
Gerade dieser Gedanke aber kann im Advent eine Offenheit für Gott befördern, denn Er will uns ja nicht nur in den altbekannten, sondern auch in neuen ungewohnten Gestalten begegnen.

Übertragen auf die persönliche Situation können die Fragen der Reflexion dann lauten: Welche Begegnungen mit anderen Menschen lassen mich leuchten? Wo kann ich auch die Werte und das Leuchten anderer Menschen anerkennen? Wann lasse ich Andere leuchten, auch wenn sie nicht meinem Weltbild entsprechen?

Offenes Fenster, beleuchtet. Dornburg, 2015.

1   F. Specker, Hochachtung und Kritik. Das Verhältnis der katholischen Kirche zum Islam heute. In: Herder-Korrespondenz Spezial 2/2015 "Religion unter Verdacht. Wohin entwickelt sich der Islam?", 16-20, hier 18.