Montag, 28. Dezember 2015

Heil in anderen Religionen? Oder: Gottes Wirkwort überall

Die Frage nach den verschiedenen Religionen und nach Gottes Plan mit ihnen beschäftigt mich derzeit bei der Lektüre von Jacques Dupuis' Opus Magnum: "Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus".
Gerade an Weihnachten beschäftigt mich auch, was Gott, wenn wir aus christlich-theologischer Perspektive schauen, mit den Bekennern dieser Religionen vorhat, im Sinne einer Theologie der Religionen, die danach fragt, "welche Bedeutung die Pluralität des lebendigen Glaubens und der religiösen Traditionen, die uns umgeben, in Gottes Plan für die Menschheit hat."1

Genau hinschauen, Gutes erkennen.
Lazienki-Park, Warschau, 2015.
Das ist ein dorniges, konfliktreiches und vieldeutiges Gelände, das in der Geschichte der Kirche sehr unterschiedlich angegangen wurde.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich will damit den universalen Anspruch des Christentums nicht aufgeben. Wohl aber glaube ich, dass man angesichts des universalen Heilswillens Gottes (vgl. Tit 2,11) und bei gleichzeitiger Anerkenntnis einer Vielheit religiös praktizierter Wege um die Frage nicht herumkommt, ob Gott nicht auch mit Menschen auf diesen Wegen in ihrer jeweiligen Religiosität etwas vorhat und sich auf Wegen, die er allein kennt, Gemeinschaft mit ihnen schafft.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat dies im 20. Jahrhundert wieder neu aus der älteren Theologiegeschichte hervorgeholt und dann formuliert, dass sich in anderen religiösen Traditionen Elemente von "Gutem und Wahrem" (LG 16) bzw. "Wahrheit und Gnade ... durch eine Art verborgener Gegenwart Gottes" (AG 9) finden lassen. Diese Wertschätzung anderer religiöser Traditionen ist eine Kehrtwende nach jahrhundertelanger Abwertung und gesteht diesen religiöse Wahrheitserkenntnis zu.
Für ihre innovativen Einlassungen griffen die Bischöfe und Theologen zurück auf die Logos-Christologie, die sich vornehmlich im Anschluss an das Evangelium vom Weihnachtstag, den Johannesprolog (Joh 1,1-18), ausformulierte.

Für einige Theologen der frühen Kirche stellte sich die Aussage dieses Textes dann so dar: Wenn Gott alles in seinem "Logos" geschaffen hat und alles durch den "Logos" wurde, wenn dieser "Logos" allem zugrundeliegt und uns schließlich in Christus als Mensch entgegentritt, dann kann auch in diesem "Logos", das heißt im Suchen der menschlichen Vernunft ("Logos") als Anteil am göttlichen Wort ("Logos") Gott erkannt werden. Jegliche logos-gemäße Erkenntnis ist folglich zugleich eine Erkenntnis in Christus, der Gottes fleischgewordener "Logos" ist.

Um nur einen beispielhaft und exemplarisch herauszugreifen – Justin der Märtyrer (+ 165) schreibt in dieser Überzeugung: "Was auch immer die Denker und Gesetzgeber jemals Treffliches gesagt haben, das ist von ihnen nach dem Teilchen vom Logos, das ihnen zuteil geworden war, durch Forschen und Anschauen mit Mühe erarbeitet worden. Da sie aber nicht das Ganze des Logos, der Christus ist, erkannten, so sprachen sie oft einander Widersprechendes aus."2

Für Justin also gilt: Wenn etwas wahr ist, dann ist es logos-haft und damit aus der Wahrheit Christi. Die vollkommene Wahrheit aber findet sich nach ihm nur in der Offenbarung in Jesus Christus, dem menschgewordenen "Logos". 

Dieser Jesus? Peter-und-Paul-Kirche,
Marburg, 2015.
Er kennt also eine "differenzierte Teilhabe am Logos: Alle Menschen haben an ihm Anteil, doch während andere ihn nur teilweise empfangen haben (apo merous) sind wir, denen sich der Logos in der Inkarnation offenbarte, mit seiner vollständigen Offenbarung gesegnet. In allen Menschen kann ein Keim des Logos (sperma tou logou) gefunden werden, denn der Logos-Sämann (spermatikos logos) sät in jedem. Doch nur uns wurde die Gesamtheit des Logos gezeigt."3

Natürlich kann dies nicht umstandslos auf unsere heutige Situation und die Weltreligionen übertragen werden. Aber das Konzil bedient sich einer ähnlichen Sprache und sagt denen, die mit ihrem Leben ein christliches Zeugnis geben wollen, sie könnten auch in anderen Religionen "Saatkörner des Wortes aufspüren, die in ihnen verborgen sind." (AG 11). Die Christusgemäßheit kann sich also im Ansatz, im "Keim", in einem "Strahl" in einer nichtchristlichen Religion finden, das Gute und Wahre in den Religionen "wird von der Kirche als Vorbereitung für die Frohbotschaft und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen erleuchtet" (LG 16).
Kurzum: Es ist das Heil Christi, das auch dort heilsam am Werk ist.

Wenn Menschen nun diesen Saatkörnern gemäß ihre Berufung innerhalb ihrer jeweiligen Religion leben, kann es dann nicht sein, dass Gott ihnen eben durch diese Keime ihr Heil in ihrer Religion schenkt? Oder, mit Jacques Dupuis gefragt: "Werden Andersgläubige in Jesus Christus innerhalb oder außerhalb ihrer eigenen Religion erlöst, trotz oder – auf geheimnisvolle Art – dank ihrer Religion? Welche positive Rolle, wenn überhaupt, spielen die anderen Religionen dann im Mysterium des Heils ihrer Anhänger in Jesus Christus? Können sie in letzter Konsequenz 'Mittel' oder 'Wege' des Heils genannt werden?"4

Ich kann und will diese Fragen einstweilen nicht für mich und also auch nicht auf diesem Blog beantworten, aber einiges deutet meines Erachtens nach darauf hin, dass der Gott Jesu Christi Heil auch durch die anderen Religionen wirkt.
Bei Karl Rahner heißt es über die Haltung hinter diesem Fragen: "Früher fragte die Theologie ängstlich, wie viele aus der „massa damnata" der Weltgeschichte gerettet werden. Heute fragt man, ob man nicht hoffen dürfe, daß alle gerettet werden. Eine solche Frage, eine solche Haltung ist christlicher als die frühere und ist die Frucht einer langen Reifungsgeschichte des christlichen Bewußtseins, das sich langsam der letzten Grundbotschaft Jesu vom Sieg des Reiches Gottes nähert."5

An Weihnachten hoffe ich, dass Gott Menschen durch alle Religionen ansprechen kann, denn ich erkenne mit meinem christlichen Glauben in dem Kind in der Krippe sein liebevolles Wort an uns, seine ausgestreckte Hand und seine zärtliche Nähe, die er auch Nichtchristen spüren lässt.

Ein Weg, viele Plakate. Aleje Ujazdowskie am Lazienki-Park. Warschau, 2015.


1   J. Dupuis, Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus. Innsbruck 2010, 39.

2   Justin der Märtyrer, 2 Apol. X, 3. zit. n. J. Dupuis, a.a.O., 98. (s.a. https://www.unifr.ch/bkv/kapitel78-9.htm)

3   J. Dupuis, a.a.O., 100.

4   Ebd., 192.


5   K. Rahner, Die bleibende Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils. In: Stimmen der Zeit 197 (1979), 795-806, hier 805.