Montag, 7. Dezember 2015

Visionen auspacken! Frauen in der Kirche und die Träume der Jugend.

Der zweite meiner Gedanken zu einem vor kurzem angebotenen Oasentag für Lehrerinnen und Lehrer ist der folgende:
Krypta
Grabung ins Dunkle. Rostock, 2015.
Traditionell ist der Weg vom Dunkel ans Licht der Weg vom Versteckten zum Offenbaren. Dem kritischen Geist zeigt sich auch in der Kirchengeschichte viel Dunkles – aber ebenso viel Helles. Spirituelle Erfahrungen, rechtliche Regelungen oder historische Konstellationen könnten neu aufgenommen und aus dem Dunkel herauf ans Licht gebracht werden.

Ein Beispiel, das der Kirchenhistoriker Hubert Wolf in seinem Buch "Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte" anführt, sind Frauen mit Bischofsvollmachten: In der Abtei Las Huelgas in Spanien gab es mit ausdrücklicher päpstlicher Genehmigung eine 700 Jahre lange Tradition, in der die Äbtissinnen seit dem hohen Mittelalter Rechte für sich in Anspruch nahmen, die sonst Bischöfen vorbehalten waren.
Nicht nur, dass die amtierende Äbtissin Mitra, Ring und Stab trug, sie vergab im Einzugsbereich ihrer Abtei auch "alle kirchlichen Stellen, Benefizien und Pfründen, sie hatte die Oberaufsicht über die Seelsorge, sie ernannte die Pfarrer und Kapläne und setzte sie ab. Wie ein Bischof übertrug sie den Geistlichen ihres Sprengels die Vollmacht zum Messelesen und die Erlaubnis, in den Pfarreien und den der Abtei unterstellten Klöstern zu predigen. ... Wie es sonst nur Bischöfe konnten, erteilte sie den Beichtvätern die Vollmacht zur Lossprechung von Sünden. Ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis durfte kein fremder Priester auf dem Gebiet der Abtei seelsorgerlich tätig werden."1
Und solche Traditionen gab es nicht nur dort, sondern in mehr als 20 Frauenabteien!2

Was auch immer man von der praktischen Wiederbelebung heute halten mag, so sind dies doch legitime christliche Traditionen, die ins Dunkel gerutscht sind.

Übertragen könnte man sagen: In jedem Menschen gibt es absichtlich oder unabsichtlich verschüttete Talente, Wünsche oder Lebensträume, die einmal lebendig waren und nun aus der Versenkung wieder ans Licht geholt werden könnten. Wie im Advent kann ja auch im Leben der Einzelnen langsam, sozusagen Kerze für Kerze, das Licht (neu) entfacht werden.
Die Frage zur persönlichen Reflexion wird dann sein: Welche meiner Talente oder Wünsche möchte ich mal neu ans Licht holen? Welche Jugendträume haben im Alltag keinen Platz mehr gefunden und dämmern nun im Keller meines Lebens?

Auftauchen aus dem Untergrund.
Mahnmal für die Opfer des Ostens, Warschau, 2015.

1   H. Wolf, Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte. München 2015, 46.
2   Vgl. ebd., 49. Wolf nennt u.a. Essen, Elten, Gandersheim, Quedlinburg, Thorn, Regensburg, Andenne, Andlau, Mons, Nivelles, Aquileja, Brescia, Brindisi, Kildare...