Donnerstag, 14. Januar 2016

"Ich will euch trösten" – Über die Jahreslosung 2016

2016 scheint ein Jahr zu werden, das Trost besonders nötig hat – sei es wegen terroristischer Gewaltakte, sei es wegen sexueller oder rassistischer Übergriffe.
Politischerseits braucht es gewiss mehr als Trost, aber gesellschaftlich und individuell scheint die Jahreslosung wie für den Beginn dieses Jahres 2016 ausgesucht:

"Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet." (Jes 66,13)1

Muttertrost. Charlottenburg, Berlin, 2014.
Wie ein Kommentar dazu liest sich Navid Kermanis Erinnerung in seinen bemerkenswerten Reflexionen über das Christentum. Er schreibt, dass er auf die Frage, was für ihn Rettung bedeuten würde, zuerst eine Reihe von einschlägigen Erlebnissen in Betracht zog: 

"Aber dann sprach ich über meine früheste Erinnerung überhaupt: den medizinisch gewiß harmlosen, für mich jedoch ganz ungewohnten, schockierenden Ohrenschmerz, wegen dem ich schreie, und meine Mutter - es muß Nacht gewesen sein, Nacht oder Abend, weil ich das tiefe Blau der Vorhänge vor Augen habe - meine Mutter holt mich aus dem Gitterbett und nimmt mich in ihre Arme, dieses Gefühl des umfassenden Trostes, das den Schmerz nicht verscheuchte, aber nicht mehr als das schlechthin Unheimliche erscheinen ließ, dieses Gefühl, mit dem Schmerz nicht mehr allein zu sein, - wie lange mag ich geschrieen haben, bis meine Mutter mich aufhob? - , die Sicherheit, von der Mutter gewiegt zu werden, im konkreten, pysischen Sinne geherzt: Es ist jemand für dich da, dieser Umschlag von der bodenlosen Einsamkeit und Verlorenheit in die Geborgenheit ..."2

Trost, so scheint es hier, ist nicht in erster Linie eine religiöse oder gar christliche Kategorie (auch wenn es dort viel vom Trost zu finden gibt) sondern zunächst eine ganz menschliche. Inzwischen kenne ich den Trost auch von der anderen Seite, als Vater, sozusagen im "Amt des Trösters" – und ich kann seine faktische Wirkung regelmäßig erfahren.

Doch auch Gottes Trost soll ebendies bewirken, dass wir "mit dem Schmerz nicht mehr allein sein" müssen.
Denn Gott will uns heil und froh sehen – und er bewirkt dies, indem er Gemeinschaft mit sich anbietet.
Für Christen tut er diesen Schritt auf uns zu durch seine Menschwerdung. Nach Ostern können wir erkennen, dass wir auch mit dem Schmerz des Sterbens und der Ohnmacht des Todes nicht allein gelassen sind. Er nimmt den Schmerz nicht einfach von uns, aber er hält uns mütterlich und entreißt uns "der bodenlosen Einsamkeit und Verlorenheit".

Wie gut, dass wir als Christen gerade in diesen Tagen von einem Muslim erinnert werden können, was unser christliches Gottesbild alles bereit hält.
Wie gut, dass da Gottes heilsame Nähe ist, die tröstet.

In Gottes Hand. Jan-Amos-Comenius-Statue, Comenius-Garten, Rixdorf, Berlin, 2015.

1   Zum biblischen und historischen Kontext, zu Wortknobeleien und Übersetzungen, zu Auswahlkriteren der Jahreslosungen und sonst Interessantem siehe hier


2   N. Kermani, Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. 8., durchgesehene Auflage, München 2016, 92.