Dienstag, 19. Januar 2016

JosephsReligion 6 – Alttestamentliche Trinitätstheologie und Theologie der Religionen

Es ist nun einmal so: Das Weihnachtsfest ist lange her und auch für Christen schon fast vergessen. Dabei wäre jetzt Zeit, die Konsequenz der Menschwerdung Gottes zu bedenken und deshalb die Entwicklung des göttlichen Wortes im jahrelangen Lebensweg Jesu vom krabbelnden Kind bis zur Mannesreife zu verfolgen.
Doch alles eilt schon weiter – während Er weiter unter uns gegenwärtig ist.
Als gegendrehende Bewegung zum Weitereilen hier ein paar Gedanken zum breiteren Kontext des Themas, wie das göttliche Wort in der Welt anwesend ist – je nach Wahl eher theologisch oder literarisch aufgetischt.
1. Thomas Manns Josephsroman
Die Geschichte des Jakobssohnes Joseph, wie sie von Thomas Mann ausgesponnen wird, nehme ich hier in längeren Abständen immer wieder auf – und Thomas Mann seinerseits theologisiert darin über die unterschiedlichsten Dinge, unbekümmert über historisch-kritische oder auch nur textimmanent logische Spitzfindigkeit. Ihn interessiert der religiöse Gehalt, der sich mehr oder minder subtil in die Josephsgeschichte hinein- oder aus ihr herauslesen lässt. 

Schatten und Bilder. Haus der Kunst
- Louise Bourgeois, Strukturen des Daseins: Die Zellen -
München, 2015.
So denkt der Autor auch in Richtung Trinitätstheologie, die er anhand des initialen Gesprächs zwischen Joseph und seinem ägyptischen Herrn Potiphar anklingen lässt. In einer furiosen Wendung dreht Joseph ein landwirtschaftliches Fachgespräch über die Befruchtung männlicher und weiblicher Bäume und die zugehörige Funktion des Windes hin zu religiöser Dichte:

"Denn es ist ein Hauch Gottes Geist und der Wind ist Geist ... also ist die Welt von Befruchtung voll und Hervorbringung ohne Geschlecht und von Zeugung des Geisthauchs. Vater und Schöpfer der Welt ist Gott und aller entstandenen Dinge, nicht weil sie durch Samen hervorgebracht werden, sondern es legte der Unerzeugte durch andere Kraft in den Stoff eine fruchtbare Ursache, welche ihn wandelt und ändert ins Mannigfache. Denn in Gottes Gedanken waren die vielgestaltigen Dinge zuerst, und das Wort, getragen vom Geisthauch, ist ihr Erzeuger."1

Die Un- oder Übergeschlechtlichkeit des alttestamentlichen Gottes, der, entgegen den damaligen Vorstellungen von Gottheiten, erstaunlicherweise nicht durch Zeugung schafft und auch nur einer ist, könnte ägyptischen Frommen aufstoßen. Doch ihren Vorstellungen von vielerlei Göttern kommt Joseph mit dem Folgenden ein wenig entgegen – und bekennt sich dabei zugleich konsequent zu seinem – einen – Gott:

"Gott ist nur einmal, ... aber des Göttlichen ist viel in der Welt und der spendenden Tugend, die weder männlich noch weiblich, sondern erhaben ist übers Geschlecht und hat nichts zu schaffen mit der Zerissenheit."2

Theologisch durchdacht werden kann diese Frage nach dem einen Gott und seinen Wirkungen unter den Menschen beispielsweise wie folgt.

2. Essenz für eine Theologie der Religionen
Nach der Logostheologie der frühen Kirche, die vornehmlich auf dem Johannesprolog beruht, wirkt Gott in seinem Wort auch vor und außerhalb des biblisch bezeugten Offenbarungsgeschehens. Selbst der Geist Gottes, der ja schon am Anfang "über den Wassern" (Gen 1,2) schwebte, weht auch vor seiner "offiziellen" Ausgießung zu Pfingsten. Gottes Wort und Gottes Geist, Inkarnation und Geistesgegenwart, beides bildet einen fruchtbaren Anknüpfungspunkt unter anderem für eine Theologie der Religionen: Einerseits stellt Christus als menschgewordener Gott die Mitte der Offenbarung dar und andererseits lässt sich das Wirken des Geistes überall dort aufdecken, wo Wahrheit zu finden ist. Nach Jacques Dupuis "herrscht eine vollkommene Komplementarität zwischen beiden in der einen göttlichen Heilsökonomie: Nur der Sohn ist Mensch geworden, doch die Frucht dieser erlösenden Inkarnation ist das Ausgießen des Geistes, wie es im Pfingstereignis symbolisiert wird. Das Christusereignis steht im Zentrum der Entfaltung der göttlichen Ökonomie in der Geschichte, doch das punktuelle Christusereignis wird durch alle Zeiten und Räume durch das Tun des Geistes aktulisiert und wirksam."3

So wie Joseph im Roman beides zu vereinen sucht – ein Gott, aber vielerlei göttliches Wirken in der Welt – so will auch Dupuis die Dinge zusammenhalten – den "Anspruch gegen den Pluralismus an der Inkarnation im orthodoxen christlichen Sinne festzuhalten und dennoch gegen den Inklusivismus genuin Neues und auch Heilsrelevantes im interreligiösen Dialog zu lernen".4
Diesen Spagat zu schaffen und das Neue und vor allem Heilsrelevante der Menschwerdung zu betonen ohne zugleich Gläubige anderer Religionen vor den Kopf zu stoßen, lässt zunächst Fragen der Vermittlung offen, worauf beispielsweise Klaus von Stosch im Sinne einer Komparativen Theologie hinweist: 

Wer hier nur Kaffee sieht...
Tasse, Weimar, 2016.
"Damit seine Intervention konsistent wird, müsste Dupuis an einem der beiden Pole Konzessionen machen. Entweder er konzediert die Möglichkeit der Gleichwertigkeit anderer Religionen, indem er das Christusereignis relativiert. Oder er muss die Möglichkeit einer Ergänzungsbedürftigkeit der Offenbarung in Jesus Christus zurücknehmen."5

Dagegen frage ich mich, ob Gottes Heilsangebot in Jesus Christus dem Wirken des göttlichen Geistes in anderen Religionen entgegenstehen muss, ob also beispielsweise die Tiefe gegenstandsloser Meditation im Zen-Buddhismus oder die reiche Fülle an Ausdrucksformen religiöser Andacht im Hinduismus oder der Glaube an die übergroße Größe Gottes im Islam nicht auch eine anders tiefe Selbstauslegung Gottes vor den Menschen sein kann, auf eine Weise, wie er sich im jüdisch-christlichen Horizont nicht konkret ausgelegt hat. (Von der Bereicherung eigener Theologie und Frömmigkeit durch die Beschäftigung mit religiösem Denken und religiöser Andacht anderer Traditionen ganz zu schweigen.)
Dementsprechend will Jacques Dupuis christliche Gläubige dazu anregen, "ihren Blick auf die ganze Dimension der menschlichen Geschichte und des Kosmos auszuweiten. Denn auch wenn das Christusereignis eine unersetzliche Funktion in Gottes Plan für die Menschheit hat, darf es doch niemals isoliert betrachtet werden, sondern immer nur innerhalb der vielfältigen Modalitäten, in denen sich Gott durch das Wort und den Geist mitteilt und offenbart. Das Überfließen des innergöttlichen Lebens nach außen ist letztlich die Wurzel und Ursache dafür, dass es in der menschlichen Geschichte konvergente Wege gibt, die zu einem gemeinsamen Ziel hinführen: zum absoluten Mysterium der Gottheit, das alle Wege zu sich zieht, genauso wie es zuerst diese ins Sein gerufen hat."6

3. Thomas Hürlimann
Zum Abschluss noch einmal ein lächelndes Durchatmen mit der literarischen Karikatur solcher Wort- und Geisttheologie. Thomas Hürlimanns Stiftsbibliothekar Jakobus Katz nimmt in der Novelle "Fräulein Stark" die nächtlichen Samenergüsse seines pubertierenden Neffen zum Anlass, eine verdruckst-verquere Form der nominalistischen Wort-Gottes-Akrobatik darzulegen:
"Das Wort, das am Anfang steht, musste diesen Anfang und damit sich selbst überwinden, sonst wäre es ja nie zur Welt und zu uns gekommen. Daraus schließen wir: Wörter sind etwas Wirkliches, etwas Lebendiges. Sie haben Kraft, sie wollen leben, wirken wollen sie und sich fortzeugen. Deshalb flossen sie vor Urzeiten aus Gott, dem Urwort ins All hinaus, sammelten sich in Büchern, gelangten in Seelen-Apotheken, wurden dort abgeschrieben und weitergetragen und in den Katalogschubladen geordnet, aber die Kraft, sich fortzuzeugen und weiterzuwirken haben sie behalten, weshalb ihnen die alten Griechen, übrigens das klügste Volk, das es jemals gab, einen treffenden, für dich und deine Altersgenossen höchst bedeutsamen Namen gegeben haben, nämlich logoi spermatikoi, lateinisch rationes seminales, oder auf gut deutsch (er schluckte): Vernunftspermien. Bref: Was raus muß, muß raus ...
Du brauchst dir gar nichts vorzuwerfen. Das Wort drängt ins Fleisch, das gilt sogar für Gott ..."7

Bauen und Bauen am Kleistpark. Schöneberg, Berlin, 2015.

1   Thomas Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013, 654.

2   Ebd., 655.

3   J. Dupuis, Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus. Innsbruck 2010, 295f.

4   K. v. Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen. 1. Aufl., Paderborn 2012, 121.

5   Ebd.

6   J. Dupuis, a.a.O., 298.
7   T. Hürlimann, Fräulein Stark. 3. Aufl. Zürich 2001, 142.