Donnerstag, 31. März 2016

Bloß kein neues Leben 2 – Wiedergeburt und Auferstehung im Vergleich

Ich habe den Eindruck, dass die Zeit vorbei ist, in der man sich im westlich geprägten Teil der Welt den naiven Wunsch nach Wiedergeburt im angeblich buddhistischen Sinne hegen konnte, weil man glaubte, dann könne man in einem weiteren Leben Dinge nachholen oder verbessern oder sonst etwas darausziehen. Außer in esoterischen Kreisen, wo man sich an frühere Leben erinnert, hat sich augenscheinlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das karmische Prinzip der Religionen des Ostens darauf beruht, den Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen und dass ins Nirvana / Moksha einzugehen eigentliches Ziel der religiösen Bemühungen ist.

Ewiger Kreislauf. Spielplatz, Rixdorf, Berlin, 2016.
Neues Leben im Sinne eines Wiederlebens nach dem Tode ist also ausdrücklich nicht angestrebt, wenngleich eine Wiedergeburt in diesem Sinne in Kauf genommen werden muss, bis das eigene Karma so sehr an Wirkkraft verliert, dass ein Hinausgehen ins Verlöschen möglich wird. Denn das Karma als Grundgesetz von Ursache und Wirkung menschlicher Taten bringt das Rad der Wiedergeburten (buddhistisch Samsara) immer wieder neu in Schwung; es kann vereinfachend als eine Art "Bewusstseinsspeicher"1 angesehen werden, in dem alles aufbewahrt bleibt, was ein Mensch tut und lässt.
In dieser etwas schematischen Form verbleibend, möchte ich einige Gedanken wiedergeben, die mir vor einigen Jahren sehr geeignet schienen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Glauben an Auferstehung im christlichen Sinne und der Überzeugung von Reinkarnation im Sinne von Hinduismus und Buddhismus darzustellen.2

Das Karma kennt keine Gnade! So oder so ähnlich plakativ ließe sich kurzfassen, was viele christliche Theologen grundlegend gegen den östlichen Glauben an die Wiedergeburt einwenden. Was ein Mensch sät, das wird er unweigerlich ernten, gegen seine Taten und Gedanken kommt er nicht an (und auch niemand sonst). Dagegen kennt das Christentum einen von Gott geschenkten Ausweg aus dem menschlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang: "Im Zentrum der 'Guten Botschaft' des Christentums finden wir die grundlegende Überzeugung, daß es in Gott Verzeihung gebe und nicht Vergeltung."3
Der Konflikt lautet damit in etwa: Unpersönliche und unvermeidliche Anwendung eines nicht zu überwindenden Grundsatzes (Karma) versus wohlwollende Zuwendung und barmherzige Vergebungsbereitschaft, die über alles menschliche Tun mit großmütiger Liebe schaut (Gott).

Darüber hinaus steht die christliche Einmaligkeit des menschlichen Lebens mit seinem unhintergehbaren Ernst als Gegenpol zu einer Art von Relativierung des Einzellebens durch die Vervielfachung von Lebensläufen in einer Reihe von Wiedergeburten. Christlich wäre dann: Gott schenkt ein Leben mit der natürlichen Grenze des leiblichen Todes; ein Leben, das uns genügend Möglichkeiten bietet und "nicht bloßes Versuchsfeld"4 ist; ein Leben, das uns an unser endgültiges Ziel führen soll.

Andere Erwägungen sind weniger auf die theologischen Unterschiede aus und stellen mehr in Rechnung, was Auferstehungsglauben und Reinkarnationsglauben verbindet und was möglicherweise Anknüpfungspunkte zum tieferen Ausloten auch des eigenen Denkmodells liefert.

Gemeinsam ist beiden Vorstellungen5 der Glaube an ein Leben über den Tod hinaus und an Konsequenzen, die sich aus dem jetzigen Leben für das postmortale Geschehen ergeben. Menschen haben durch ihre Lebenspraxis also in einer gewissen Weise Einfluss auf die sie erwartende Wirklichkeit nach dem Tod. Der oben genannte existenzielle Ernst muss ja auch verschiedene mögliche Ausgänge des Lebens zulassen, damit darin auch wirklicher Ernst ist.

Dazu kommt die Einbettung des Individuums in die Generationen der Menschheitsgeschichte vor ihm, die es immer auch beeinflusst. Christlicherseits kann hier hingewiesen werden auf die Heils- und Unheilsgeschichte mit der sogenannten Erbsünde und deren universale Heilung in Jesus Christus.
Franz-Josef Nocke fragt in Richtung einer Vertiefung des eigenen Denkens weiter: "Böte das Reinkarnationsdenken z.B. die Chance, den Zusammenhang zwischen dem Einzelnen und der Geschichte vor und nach ihm sowie mit der gesamten übrigen Wirklichkeit stärker ins Bewußtsein zu heben und damit der theologisch bedenklichen westlichen Verabsolutierung des Individuums und seiner Isolierung vom Ganzen entgegenzuwirken?"6

Heilsrelevantes Umfeld. Grünheide, 2016.
Gerade angesichts einer protestantisch enggeführten Geisteshaltung, die den Einzelnen vor dem rechtfertigenden Gott ins Zentrum ihres theologischen Denkens stellt (und die durchaus auch katholisches Theologisieren betrifft), kann sich diese mentale Öffnung auf das heilsrelevante Umfeld dieses Einzelnen für theologisches Denken positiv und konstruktiv auswirken.

Am spannendsten aber finde ich die Frage, die auf ein Feld zielt, das auch in der innerchristlichen Diskussion umstritten ist und auf diese Weise den Boden bereitet für ein christlich-ökumenisch-selbstkritisches Nachdenken über die Konsistenz der eigenen Glaubensüberzeugungen.
Es geht um die Frage nach dem Zwischenzustand, dem sogenannten Fegfeuer. Nocke fragt hier:
"Könnte Reinkarnation ein Vorstellungsmodell sein, das (vergleichbar etwa dem Bild des Fegfeuers) den Gedanken der Läuterung ausdrückt, ohne die Bedeutung des gegenwärtigen Lebens abzuwerten?"7
Ein Reinigungsweg nach dem Tod – diese religionsverbindende Vorstellung könnte eine Anknüpfungsperspektive bieten, um sich klar zu machen, dass in einem irdischen Leben unter Umständen nicht alles geklärt, bereinigt und geheilt werden kann, sondern dass der Blickwinkel weiter gesteckt sein muss. Ein potentielles Lernfeld, das ich äußerst anregend finde.
Für den Hinduismus versucht der indische Jesuit, zwischen Auferstehung und dem hinduistischen Moksha zu vermitteln: "Denn es besteht eine funktionale Entsprechung zwischen ihnen. Das ewige Leben, in das man durch die Auferstehung eintritt, findet ihre funktionale Entsprechung in der endgültigen Befreiung im Hinduismus. Auferstehung ist nicht Moksha und umgekehrt. Aber beide sind wie zwei Augen, die zusammen eine Tiefenperspektive ermöglichen."8

Aber möglicherweise sind auch die oben angeführten Gegensätze von unbarmherzigem Karma und barmherzigem Gott gar nicht so abgrundtief. D' Sa schreibt: "Die Millionen und Abermillionen von Wiedergeburten, von denen im Samsara die Rede ist, sind ein bildhafter Ausdruck für die völlige Unfähigkeit des Menschen, sich aus eigener Kraft aus dem Samsara zu befreien."9 Die Konsequenz aus dieser Aussage wäre, dass auch im Glauben an Reinkarnation Erlösung nicht zwangsläufig gnaden-lose Selbsterlösung sein muss. Dies würde allerdings einer tiefere Durchdringung der Materie voraussetzen als ich hier bieten kann.

Mein Fazit lautet darum: Die anregenden Fragen aufzunehmen bedeutet nach meinem Dafürhalten nicht, sich über die Unterschiede hinwegzutäuschen und damit die Gnade eines persönlich ansprechenden Gottes gering zu schätzen. Doch zugleich muss selbstkritisch anerkannt werden, dass die Annahme von Gottes barmherziger Liebe als Grundlage unseres praktischen Lebens uns oftmals auch nicht leicht fällt. Wie oft sind wir gnadenlos und unbarmherzig, zunächst mit uns selbst, aber dann auch mit anderen?

Eventuell bietet die Beschäftigung mit anderen Glaubensüberzeugungen ja dann auch diese Chance: sich wieder neu auf die eigenen innersten Maßstäbe und Wertsetzungen zu besinnen.
Oder durch die positive Würdigung des Anderen eine neue "Tiefenperspektive" zu gewinnen.

Neu-alte Tiefenperspektive. Reuterplatz, Neukölln, Berlin, 2016.

1   G. Schwikart, Tod und Trauer in den Weltreligionen. 2. Aufl. Kevelaer 2010, 66.

2   Einschränken muss ich jedoch einerseits, dass mir tiefere als die grundlegenden Kenntnisse bzgl. dieser Religionen fehlen und ich also nur vom Prinzip ausgehen kann, während eventuelle Nebenformen und Ausnahmen zu benennen ich nicht in der Lage bin; andererseits beziehe ich mich auf wenige Quellen, denen ich wegen ersterer Einschränkung zu trauen gezwungen bin, hoffentlich zu Recht.

3   R.J. Blank, Auferstehung oder Reinkarnation? Mainz 1996, 58f.

4   F.-J. Nocke, Eschatologie. In: Th. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik. Band 2. 2. Aufl. Düsseldorf 2002, 377-478, hier: 471.

5   Ich lehne mich hier an eine Aufzählung an, die sich findet in: F.-J. Nocke, Ist die Idee der Reinkarnation vereinbar mit der christlichen Hoffnung auf Auferstehung? In: H. Kochanek (Hg.), Reinkarnation oder Auferstehung. Freiburg i.Br. u.a. 1992, 276ff.

6   F.-J. Nocke, Eschatologie. a.a.O., 471.

7   Ebd., 470.

8   F. X. D' Sa, Auferstehung bei Christen und endgültige Befreiung bei Hindus. In: Jesuiten. Informationen der Deutschen Provinz der Jesuiten an ihre Freunde und Förderer. 1/2008. Tod und Auferstehung, 9-11; hier: 11.


9   Ebd., 10.