Dienstag, 21. Juni 2016

Degradierung Gottes zum Bettler

Das passiert mir nicht so oft: Ich hänge noch etwas an einer meiner eigenen Formulierungen fest. Denn auf die Frage, wer Jesus für mich ist, schrieb ich unter anderem, dass er ein "Bettler am Rande meines Alltags“ sei.

Und je länger ich dem nachhänge, desto mehr muss ich zugeben, dass es nicht selten genau so ist: Gott steht am Rande meines alltäglichen Lebens und ich lasse ihn dort stehen. Da steht er und bittet, dass ich ihm Zeit schenke, damit er an meinem Leben teilhaben kann. Ich aber erkenne seinen Anspruch nicht an – oder ignoriere ihn.


Ort Gottes. Hauptbahnhof Halle/Saale, 2016.
Tatsächlich, wäre genauer zu formulieren, nehme ich seine Anwesenheit bzw. meine Erinnerung an seine Anwesenheit genau wahr – und es brennt mir im Gewissen. Trotzdem erfahre ich diese Anwesenheit als so fordernd, dass ich sie lieber links liegen lasse, um mich nicht näher mit ihr zu beschäftigen.
Statt dessen lese ich dann. Oder schreibe irgendwas Frommes.

Gott in meinem Geist zu einer Art lästigem Bettler zu degradieren und ihm keinen Raum zu lassen, ist eine verführerische Antwort darauf, dass seine Gegenwart meine eigene Gegenwart einfordert und ich dann nicht mehr in Medien oder sonstige Ablenkungen ausweichen kann.

Dabei will er gar nicht so sehr etwas haben, sondern eigentlich etwas schenken.

Wenn ich mich ihm öffne und meine Logik der Abwendung und der Angst vor Verlust aufgebe, dann spüre ich das Eintauchen in sein Leben, das mich bereichert. In die Stille, die mich nährt.

Doch dann muss ich bereit sein, ihn als Gast und Geber eintreten zu lassen und nicht als Bettler.
Das sollte nicht so schwer sein. Aber vielleicht braucht es dazu mehr Demut.