Dienstag, 7. Juni 2016

Mein Unglaube steht auf


... und verlässt den Raum. Immer mal wieder. Aber er kommt auch verlässlich wieder herein.

Jedenfalls der praktische, der alltägliche Unglaube.


Meine religiösen Überzeugungen und Vernunftgründe dagegen bleiben schön an ihrem Platz und gaukeln mir meine Religiosität vor. Ob sie sich den Raum teilen müssen mit meiner faktischen Gottlosigkeit schert sie meistens nicht. 

Vor dem Himmel sichtbar. Rixdorf, Berlin, 2016.
Das praktische Vergessen Gottes in unserem alltäglichen Handeln ist Teil der schiefen Ebene unserer Existenz, die theologisch Erbsünde genannt wird.

Denn wir glauben nicht selbstverständlich an Gott, leben vielmehr zumeist so, als gäbe es ihn nicht. Im christlichen Verständnis bedeutet dieses "Glauben" nämlich Beziehung. Bedeutet ein immer neues Beginnen des Anvertrauens, des Sich-lieben-lassens, des Suchens und Findens.


Unglaube dagegen braucht das nicht. Unglaube bleibt stehen. Oder besser noch, setzt sich. Lässt laufen.
Das entspricht bestimmten Regungen in uns, weshalb uns der Unglaube oft leichterfällt und einfach so über uns kommen kann. Die Einladung Gottes, mit ihm in Dialog zu treten, theologisch gesprochen seine Gnade, lässt sich dagegen leicht überhören. 


Darum ist Glauben immer neues Sich-öffnen, neues Hinaustreten aus sich selbst und Eintreten in die Gemeinschaft mit ihm. 

Analog zu Gottes Schöpfungshandeln, das auch nicht einmal vor langer Zeit geschah und damit vorbei ist, sondern in einem kontinuierlichen Lieben die Welt im Dasein erhält, müssen auch wir als Vollzug unseres Glaubens kontinuierlich lieben. 



In dem kritischen Bekenntnisbuch "Gott braucht dich nicht" von Esther Maria Magnis zeigt sich das im traurig-liebevollen Wunsch nach dem Weiterleben des todkranken Vaters, gleich morgens beim Aufwachen in einer kalten Berghütte: 

"Mit einem Arm aus dem dicken Federbett gestreckt, versuche ich, den kleinen stinkenden Elektroofen anzumachen. Und als ich den Knopf berühre, denke ich: "Ich will Papa behalten."

Ich greife nach den Wollsocken neben dem Bett, ziehe sie mir unter der Decke an. Stehe auf, wickle mir eine Decke ums Nachthemd, halte sie mit einer Hand fest, während ich die Klinke der Zimmertür leise runterdrücke. Ich will Papa behalten, denke ich leise. So leise wie ich die Tür öffne, um Steffi nicht zu wecken. Und beim Zähneputzen, als ich in den Spiegel schaue, weiß ich ganz ruhig, dass ich Papa behalten will. Ich spucke die Zahnpasta ins weiße Waschbecken, spüle den Mund aus, "Ich will Papa behalten". Und ich gehe die Treppe runter, es knarrt, "Ich will Papa behalten", und noch ein Schritt, und ich will Papa beahlten, und ich komme unten an und will Papa behalten, und als ich die Tür aufmache zur Stube, will ich Papa behalten, und dann - da sitzt er am Tisch, die Sonne glänzt in seinem Haar, mir erstickt ein Satz im Kopf.

Ich geh zu ihm, er öffnet die Arme, wir drücken uns."[1]

Die erinnernde Liebe führt zur Begegnung und zur Gemeinschaft. Wie das immerwährende Jesusgebet der Ostkirche wirkt dieser Satz. Ein Glaube, der sich in einem beschwörenden Satz voll Liebe verdichtet.

"Der Satz spross hinter meiner Stirn und im Herzen, er öffnete sich in meinem Bauch, er zog in meine Füße, er wuchs aus meinen Fingernägeln, er verlängerte mein Haar und lag im Schweiß auf der Haut. Er webte sich selbst entgegen und schloss sich zusammen."[2]

Eine wunderbare Beschreibung des christlichen Beziehungsglaubens als Gebet.

Doch der Unglaube, die Gottesferne, steht weiterhin vor der Tür.

Krake am See. Peetzsee, Brandenburg, 2016.


[1] E. M. Magnis, Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung. Reinbek bei Hamburg 2014, 39f.
[2] Ebd., 40.