Samstag, 30. Juli 2016

Alles im Ganzen und die Welt in Gott. Über die Weltmystik des Ignatius von Loyola

Der Festtag des heiligen Ignatius fällt in diesem Jahr auf einen Sonntag. So können die Feiernden auch aus den Texten des Sonntags sinnreiche Anregung für die Erinnerung an diesen großen Mann schöpfen.
In der Lesung aus dem Buch Kohelet (Koh 2,21-23) werden Sinnlosigkeit und Vergänglichkeit irdischer Freuden und Verdienste besungen, mithin eine Relativierung des Lebens auf Erden betrieben, die, der Logik der Leseordnung entsprechend, auch im Evangelium (Lk 12,13-21) wiederkehrt. 
Dort rügt Jesus eines Mannes Wunsch nach Schlichtung der Erbstreitigkeiten zu seinen Gunsten und erzählt zur Illustration die Geschichte eines Menschen, der viel Energie daran setzt, seinen Reichtum zu horten und zu sichern. Das aber erweist sich als völlig unnütz, wenn der Tod schneller kommt als erwartet, denn "der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt." (v5)
Vielmehr gehe es darum, vor Gott reich zu sein.
Dies nun ist eine Lebensmaxime, die dem heiligen Ignatius gepasst hätte, da es ihm ja in allem um die je größere Ehre Gottes ging, auf die hin alles andere geordnet sein muss. Nicht also Reichtum vor Gott im Sinne einer Verbesserung des eigenen Standes vor Gott wäre dann im Blick, sondern vielmehr Reichtum vor Gott als leben und tun dessen, was vor Gott wertvoll ist – und das ist dann auch der Dienst an den Nächsten oder, wie Ignatius es nannte, die "cura animarum" (Sorge um die Seelen). Reich sein vor Gott wäre dann die Ausrichtung des Lebens nach Gottes Willen und der Einsatz als Mensch für Andere.

Alles in Einheit... Grünheide, 2016.
Der Autor des Kolosserbriefes bestätigt in der zweiten Lesung (Kol 3, 1-5.9-11) die vorgenannte Nachordnung weltlicher Ziele, da das Leben der Gläubigen schon in Christus "verborgen" (v3) ist. Daraus ergeben sich eine Reihe ethischer Forderungen, wie die Ablehnung von Lüge, Unzucht, Götzendienst usw. (v5.9), die in einer Lebenshaltung zusammengefasst werden, welche stark im Sinne der anderen beiden Lesungen gedeutet werden kann: "Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!" (v2)

Auf den ersten Blick riecht auch diese Faustregel nach einer starken Abwertung des Irdischen. Mit den Augen ignatianischer Spiritualität aber kann hier eine Form der Weltfrömmigkeit eröffnet werden, die bei einer Erfahrung des Ignatius selbst ansetzt.

In seinem Lebensbericht beschreibt er (in der dritten Person) verschiedene Momente seiner Gotteserfahrung und unter diesen nennt er als fünfte die folgende :
"Einmal ging er aus seiner Andacht zu einer Kirche, die etwas mehr als eine Meile von Manresa lag – ich glaube, sie heißt St. Paul –, und der Weg geht den Fluß entlang. Und während er so in seinen Andachten ging, setzte er sich ein wenig mit dem Gesicht zum Fluß, der in der Tiefe ging. Und als er so dasaß, begannen sich ihm die Augen des Verstandes zu öffnen.
Und nicht, daß er irgendeine Vision gesehen hätte, sondern er verstand und erkannte viele Dinge, ebensosehr von geistlichen Dingen wie von Dingen des Glaubens und der Wissenschaft. Und dies mit einer so großen Erleuchtung, daß ihm alle Dinge neu erschienen.
Und es lassen sich nicht die Einzelheiten erläutern, die er damals verstand, obwohl es viele waren; sondern er empfing eine große Klarheit im Verstand, so daß ihm in der ganzen Folge seines Lebens bis über zweiundsechzig Jahre hinaus scheint: Wenn er alle Hilfen zusammenzähle, wie er sie von Gott erhalten habe, und alle Dinge, die er erkannt habe, selbst wenn er sie alle in eins zusammenbringe, habe er nicht so viel erlangt wie mit jenem Mal allein."1

Mitten auf einem Spaziergang in der Natur also widerfährt ihm schockartig dieses Erlebnis. Sogleich versucht er, gängige Interpretationsmuster abzuwehren und verneint eine "Vision", vielmehr nennt er es ein "Öffnen der Augen des Verstandes", durch das "alle Dinge neu erschienen". Und das alles geschieht in so beeindruckender Weise, dass er noch Jahrzehnte später beim Anfertigen des Berichtes davon schwärmt.
Es scheint eine grundstürzende Einsicht gewesen zu sein, die nicht einzelne Erkenntnisse oder Gedanken oder Glaubenswahrheiten betrifft, sondern ihn die Welt in neuem Licht sehen ließ.

Für die an Ignatius anschließende Spiritualität und Geisteshaltung wird später die angestrebte Haltung des "contemplativus in actione", einem "Gesammeltsein im Tun" bedeutsam. Sie stellt eine Modifikation dieser Erfahrung dar, insofern auch hier im Tun, in der Welt und eben nicht nur während des eigentlichen Gebetes oder der Liturgie Gott gefunden werden solle.
Wenn Ignatius schreibt, dass er durch Gottes Gnade alles neu sehen konnte, dann ist darunter wohl genau das zu verstehen: die Einheit der Welt als Schöpfung in ihrer Bezogenheit auf Gott den Schöpfer.
Alles als Einheit in dem Einen zu sehen, der Gott ist, das ist die Einheit von Glaube und Wissenschaft, die Freude an der Welt um Gottes Willen, das Himmlische im Irdischen und den Reichtum Gottes als Schatz schon im Hier und Heute.

Möge auch uns das immer mehr gelingen.
Einen gesegneten Festtag!

...und alles in Gottes Licht. Peetzsee, Brandenburg, 2016.

1   Ignatius v. Loyola, Bericht des Pilgers. Frankfurt a.M. 1999, No. 30.