Montag, 4. Juli 2016

Der Hass wandert aus, aber er bleibt. Aktuelle Gedankensplitter

Ich bin der Meinung, dass die Menschen sich durch die Jahrtausende ziemlich gleich geblieben sind. Es mag hier und da etwas mehr Reflektiertheit und breitere Bildung geben und sogar etwas mehr Zivilisiertheit, aber wenn die Zeiten prekär werden, bleibt sich im Grunde vieles gleich.

Was wir an Hass und Wut im Netz und (nach dem Verfassungsschutzbericht des letzten Jahres) auch in der nichtvirtuellen Realität vor allem an den politischen Rändern wahrnehmen können, war doch nie wirklich verschwunden. Vielleicht wurden Ressentiment und Verachtung Anderer von Wohlstand und Behaglichkeit leidlich zugedeckt, aber doch nicht einfach fort.

Es sprießt. Pilze in Rixdorf, Berlin, 2016.
Mit Sicherheit hat sich der Hass weitgehend säkularisiert - denn was in der Geschichte innerhalb des kirchlichen Rahmens an Gewalt potenziell und wirklich begegnete, das findet sich heute, jedenfalls im säkularen Abendland, meist außerhalb von Religion und Kirche wieder.

Aggressive Energien und sie legitimierende Reinheitsphantasien, die früher Ketzer und Juden, als Hexen verfolgte Frauen, uneheliche Kinder und sonstige kirchlich Ausgestoßene getroffen hatten, richten sich heute rechts wie links gegen das staatliche Gewaltmonopol und (vornehmlich von rechts außen) gegen jene, die der Staat als Minderheiten schützt. Sei es nun als neu grassierender Rassismus oder als Nationalismus oder als Anarchismus – Pseudo-Gründe um zu hassen findet sich der Hass immer genug.

Denn wo staatliche Instanzen früher Hass im Sinne der herrschenden Volksreligion eher schürten, da bricht sich heutiger Hass, durch gefühlte antidemokratische Mehrheiten aus dem Internet befeuert, jenseits der Institutionen Bahn.

Wenn aber das Christentum als eine ursprünglich tragende Bastion des Abendlands seine (eben auch vorhandenen) Zivilisierungspotenziale im säkularen Umfeld nicht mehr entfalten kann, dann gibt es in Zeiten akuter sozialer Defragmentierung kaum noch gesellschaftlich relevante Größen, die gegen den Hass stehen könnten.

Zugleich ist das Christentum durch die nach innen gerichtete Konzentration auf den menschenfreundlichen Gehalt der eigenen Botschaft eine im schlechten Sinn auf Sanftheit beschränkte Wohlfühloase geworden, in der negative Energien nicht mehr willkommen sind und die darum das Hasspotenzial nicht mehr einhegen kann.

Der aber bricht sich dann draußen seine Bahnen. 
Brutalos wird es immer geben, seien sie innerhalb oder außerhalb der Kirchen.

Ob ihr heutiges tendenzielles Draußensein aber nun besser ist, oder ob die Kirchen die Verkündigung des eifernden Gottes stärker betonen sollten, der dann auch wieder (über)eifernde Gläubige anzieht, die eventuell im Namen ihres Glaubens dann das Gleiche tun wie derzeit glaubensferne Randalierer und Hetzer, mag dahingestellt sein.
Eine solche Verantwortung anzunehmen und die damit einhergehende Schuld zu tragen jedenfalls würde Kirche zwar nicht im Sinne des heutigen pazifistischen Zeitgeistes rechtfertigen, stünde aber durchaus in einer Linie mit einer traditionell vertretenen Theologie stellvertretender Sühne.

Ein riskanter Gedanke.

Viel kaputt. Bauschutt, Rixdorf, Berlin, 2016.