Donnerstag, 25. August 2016

Islam ist Sex?!?! – Über "Unterwerfung" von Michel Houellebecq

"Wie die meisten anderen Menschen wahrscheinlich auch übersprang ich die Kapitel, in denen es um die religiösen Pflichten, die Säulen des Islam und das Fasten ging, um direkt zu Kapitel VII zu springen: 'Warum Polygamie?'"1

Eigentlich sagt dieser Satz alles, was die Blickrichtung und den Stil des vieldiskutierten letzten Romans von Michel Houellebecq angeht. Neben der (mehr oder weniger) subtil ironischen Haltung zu inhaltlichen religiösen Fragen geht es vorrangig um Sex. Dem französischen Klischee entsprechend kommt natürlich auch die Darstellung der Vorzüge alkoholischer Getränke und der französischen und arabischen Küche nicht zu kurz, aber was den Ich-Erzähler eigentlich bewegt, sind nicht metaphysische Fragen, sondern das Herausgelangen aus der Sinnlosigkeit seines einsamen Akademikerlebens in einer liberalen Mehrheitsgesellschaft unserer Tage hinein in die im Roman neu sich eröffnenden sexuellen Möglichkeiten des politisch dominierenden Islam.

Sethlik-Moschee, Kreuzberg, Berlin, 2016.
Dahinter treten die Fragen vieler Kommentatoren, ob es nun ein den Islam verunglimpfendes oder (bzw. und dabei) rechtsextrem argumentierendes, oder ob es ein sexistisches Buch sei, in dem das Patriarchat verherrlicht wird, ob es visionär die Entwicklungen in Europa voraussieht oder eine Dystopie malt, meiner Meinung nach zurück.
In welchen Passagen der Autor tatsächlich ironisch sein wollte und wann er seine eigene Meinung durch die Protagonisten äußert, ist nicht immer leicht auszumachen und wird durch nachträgliche Interviewaussagen Houellebecqs ebenfalls nicht erleichtert. Beispielhaft genannt sei die im Buch mehrfach erwähnte Parallelität der Anliegen der Identitären Bewegung mit denen der islamischen Welt, zumal wenn es um die Unterordnung der Frauen im privaten und ihren Ausschluss von gesellschaftlicher Beteiligung im öffentlichen Leben geht. Dass Houellebecq ein satirisch agierender Kryptofeminist sei, kann wohl kaum unterstellt werden. Aber die entgegengesetzte ernsthafte Neigung zum Autoritären kann ich den teilweise bis ins Absurde übersteigerten Szenen auch nicht entnehmen.

Ein Beispiel: Im Zug sieht er zwei (selbstverständlich verschleierte) junge Frauen mit ihrem arabischen Ehemann. Während die Frauen sich mit Zeitschriften amüsieren, beschreibt er den am PC arbeitenden Mann als bemitleidenswert: Der Geschäftsmann "machte den Eindruck, als hätte er schwerwiegende Sorgen; nachdem er seinen Posteingang geöffnet hatte, lud er einen Anhang hoch, der zahlreiche Excel-Tabellen enthielt; die Durchsicht dieser Dokumente schien seine Unruhe noch zu steigern. Er tippte eine Nummer in sein Mobiltelefon und führte mit leiser Stimme ein langes Gespräch. ..." Die Frauen dagegen haben ihren Spaß, so dass der Beobachter resümiert: "Im islamischen Regime hatten Frauen – zumindest diejenigen, die hübsch genug waren, das Begehren eines reichen Ehemanns zu wecken – die Möglichkeit, im Grunde ihr ganzes Leben lang Kinder zu bleiben. Kurz nachdem sie den Kindesbeinen entwachsen waren, wurden sie selbst Mütter und tauchten wieder in das kindliche Universum ein. Wenn ihre Kinder herangewachsen waren, wurden sie Großmütter ... Natürlich verloren sie ihre Autonomie, aber fuck autonomy, ich kam nicht umhin, mir einzugestehen, dass ich ohne Probleme und sogar mit großer Erleichterung auf jede Art von beruflicher oder geistiger Verantwortung verzichtet hatte und diesen Geschäftsmann, der auf der anderen Seite des Gangs unseres TGV-Pro-Première-Abteils saß, dessen Gesicht beinahe grau wurde vor Angst, während sein Telefonat andauerte, überhaupt nicht beneidete".2

Nun ist ein Roman kein Essay, selbst wenn sich essayistische Reflexionen zuhauf in diesem Roman finden. Da dürfen sich auch die Anziehungskraft, die die Polygamie für den Protagonisten darstellt, und die Ablehnung der männlichen Verantwortung in einer patriarchal organisierten Gesellschaft (inklusive der scheinbaren Verteidigung von aufs Kind reduzierten Frauen) etwas widersprechen. Und die abseitige Argumentation der Ich-Gestalt im Zitat braucht nun wirklich keine rationalisierende Rechtfertigung oder Widerlegung.

Davon abgesehen bietet der erste Teil des Romans eine spannende Darstellung der satten Kultur des Westens und ein meistenteils überzeugendes Nachvollziehen ihres schleichenden politischen Übergangs in eine muslimisch geprägte Lebenswirklichkeit.

Verschleierung? Grünheide, 2016.
Spezifisch religiösen Fragen widmet sich das Buch nur an wenigen Stellen. Kontakt mit dem Christentum entsteht einerseits durch die Faszination der Marienstatue im Wallfahrtsort Rocamadour, deren Darstellung des Jesuskindes auf den Armen der Gottesmutter auf Francois den "Eindruck von spiritueller Macht und unantastbarer Kraft"3 macht. Hier wird eine mystische Offenheit angedeutet, die jedoch nur dazu dient, die in den nächsten Szenen einsetzende Lesung von patriotisch-nationalistischen Texten von Charles Péguy im Angesicht der Statue zu demontieren. Die Vermischung von Nation und Religion war ja von jeher eine gefährliche, und auch Houellebecq scheint sie nur kritisch zu sehen. 

Der Autor, auf den sich der Literaturhistoriker Francois spezialisiert hat, ist Joris-Karl Huysmans, der sich nach seiner Konversion in einen Drittorden zurückzog. Auf dessen Spuren wird auch die klösterliche Welt angedeutet: "Die Stimmen der Mönche erklangen in der eiskalten Luft, rein, demütig und weich; sie waren voller Milde, Hoffnung und Erwartung. Unser Herr Jesus Christus würde wiederkehren, er würde bald wiederkehren, und die Wärme seiner Gegenwart erfüllte schon jetzt ihre Seelen mit Freude." Dieser scheinbar einfühlsamen Erfassung monastischer Spiritualität folgt die zustimmend referierte zynische Einsicht Nietzsches, "dass das Christentum im Grunde eine weibliche Religion war."4

Damit ist das Christentum für die Hauptfigur auch fast schon abgehakt, bevor es gegen Schluss des Romans noch seine endgültige Abreibung bekommt: "... ich interessierte mich mehr für Elohim, den erhabenen Schöpfergott des Universums, als für seinen blassen Sprössling. Jesus hatte die Menschen zu sehr geliebt, das war das Problem; sich für sie kreuzigen zu lassen, zeugte mindestens von schlechtem Geschmack ... Auch seine übrigen Taten deuteten nicht gerade auf besonders große Besonnenheit hin, das belegt die Vergebung für die ehebrecherische Frau mit Argumenten wie 'Wer von euch ohne Sünde ist' usw. Das dürfte nicht besonders schwer gewesen sein, man hätte nur irgendein siebenjähriges Kind herbeirufen müssen, das hätte ihn schon geworfen, den ersten Stein, das verdammte Gör."5

Immerhin, ist diesen Gedanken zugute zu halten, begegnet Christentum nicht nur in Gestalt der heutigen Kirche oder seiner historisch mehr oder weniger wichtigen Zeugnisse, sondern auch in Referenz auf seinen Gründer. Und dass manche kitschigen oder verklärenden Jesusbilder oder ihre naiven Auslegungen kritisch hinterfragt werden müssen, versteht sich von selbst.

Die christliche Liebe der Hingabe steht eben in hartem Kontrast zu dem Ideal, das im Roman vorgestellt wird und das (hier finden sich die Fäden wieder) zugleich eine sexuelle und eine religiöse Seite hat. Houellebecq lässt nämlich den religiösen Protegé seiner Hauptfigur, den bekehrten Identitären Robert Rediger, sagen:
"Es ist die Unterwerfung. ... Der nie zuvor mit dieser Kraft zum Ausdruck gebrachte grandiose und zugleich einfache Gedanke, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht."6

Sobald dies als Ziel muslimischer Religion und sexuellen Glücks angesehen wird, kann in der Logik des Romans nur noch die der liberalen Freiheitsidee entsagende Konversion des atheistischen Francois folgen. In diesem Sinne wäre der Roman am ehesten eine Entlarvung des opportunistischen Hedonismus in der Postmoderne.

Überreste abendländischer Kultur? KdF-Bauten in Prora, Rügen, 2016.

1   M. Houellebecq, Unterwerfung. Köln 2015, 241.
2   Ebd., 200ff.
3   Ebd., 145.
4   Ebd., 194.195.
5   Ebd., 245f.
6   Ebd., 234.