Samstag, 27. August 2016

Mein Kind kniet neben mir – Ein kurzer Gedanke zum Sonntagsevangelium

Seit wir in Polen waren und einige Kirchen besucht haben, in denen das Allerheiligste ausgesetzt war, kniet meine bald zweijährige Tochter regelmäßig neben mir in der Kirche. Natürlich macht sie währenddessen alles mögliche, aber wenn sie sieht, dass andere Leute knien, will sie das nun auch. So ist das also mit der Erziehung durch Vorbildwirkung.

Ich musste daran denken, als ich die Lesungen des Sonntags las – dort geht es um Bescheidenheit und Demut als Lebenshaltung . Was auch für das Leben im Allgemeinen gelten kann, sagt Jesus bei einem Gastmahl: "Such Dir nicht den Ehrenplatz aus!" (Lk 14,8) und betont: "Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden." (v11) Insofern scheint das Knien die angemessene Haltung im feierlichen Mitgehen des Hingabemahles Jesu zu sein.

Kniender. Sowjetisches Ehrenmal.
Treptower Park, Berlin, 2013.
Die Lesung aus dem Hebräerbrief (12,18f.22-24a) macht auf einen weiteren Aspekt deutlich, der zu Demut und "ehrfürchtiger Scheu" (v28) anregen will. Es ist die Gegenwart Gottes, in die wir als Christen beim liturgischen Feiern hineingerufen sind, und die in einer gewaltigen Schau beschrieben wird: "Ihr seid ... zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus" (vv22-24a).

Es ist also nicht nur die von Jesus angemahnte Vorstellung der Möglichkeit, dass ein höhergestellterer Gast kommen könnte (v8f), die uns demütig macht, sondern es ist das Bewusstsein der Anwesenheit Gottes und der ganzen himmlischen Kirche, die uns in dieser Situation vor Augen stehen kann. Dieses Hingehen zur kirchlichen Feier ist also zugleich das "Hinzugetretensein" zum kosmischen Lobgesang der ganzen Schöpfung vor Gottes Angesicht.

Joseph Ratzinger betont deshalb mit gleicher Perspektive die Universalität des christlichen Gottesdienstes: "Es ist der Kult des offenen Himmels. Er ist nie nur ein Ereignis einer örtlich sich findenden Gemeinde. Eucharistie feiern bedeutet vielmehr, in die Öffentlichkeit der Himmel und Erde umfassenden Verherrlichung Gottes einzutreten, die mit Kreuz und Auferstehung eröffnet ist."1

Unter diesen Voraussetzungen knie ich einmal lieber neben meinem Kind.


1   J. Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung. Freiburg i.Br. 2000, 42.