Mittwoch, 12. Oktober 2016

Was für einen Generaloberen suchen die Jesuiten?

Zur Zeit tagt in Rom die 36. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu, also eine Art Hauptversammlung von Delegierten, die, nach dem angekündigten und inzwischen vollzogenen Rücktritt des Generaloberen Adolfo Nicolas, am Freitag einen neuen Generaloberen wählen werden.

Leiten lassen sie sich dabei von den Gründungsdokumenten der Jesuiten, also vornehmlich den Satzungen, in denen das Procedere der Wahl und die Qualifikationen und Aufgaben des Oberen festgeschrieben sind, aber auch von den Dekreten vorangegangener Generalkongregationen, die sich zu diesem Thema geäußert haben.
Dazu hier ein paar kurze Einblicke, wie sie ähnlich auch andernorts geboten werden. 

Klarer Blick nach oben.
St. Dominicus, Neukölln, Berlin, 2016.
Ignatius beschreibt in den Satzungen1 ausführlich die nötigen Eigenschaften: Als erstes soll ein Generaloberer "sehr mit Gott unserem Herrn verbunden und mit ihm im Gebet und in allen seinen Handlungen vertraut" (No 723) sein. Mit anderen Worten ist die Verbundenheit mit Gott erstes und wichtigstes Kriterium eines Generaloberen.
Ferner soll er ein Mann sein, "dessen Beispiel in allen Tugenden den übrigen aus der Gesellschaft hilft", außerdem müssen ihn Nächstenliebe und Demut auszeichnen (No 725).
Dann führt Ignatius aus, was ihm auch in den Exerzitien wichtig ist, wenn er als eines ihrer Ziele benennt, dass jemand von "ungeordneten Anhänglichkeiten"2 frei werde. Der Generalobere soll folgerichtig "von allen Leidenschaften frei sein ... damit sie ihm nicht innerlich das Urteil oder die Vernunft stören" – nach außen soll sich dies zeigen in Ausgeglichenheit und Gesetztheit (No 726).
Eine weitere Eigenschaft ist der Besitz von Komplementärtugenden: der Generalobere soll "die notwendige Geradheit und Strenge mit der Güte und Milde zu verbinden wissen" (No 727). Ähnlich äußert sich der Epheserbrief, wenn er von der stets notwendigen Verbindung von Liebe und Wahrheit spricht (Eph 4,15).
"Und ebenso ist ihm die Großmut und Tapferkeit des Herzens sehr notwendig ... ohne bei den Widerständen den Mut zu verlieren – selbst wenn sie von großen und mächtigen Personen ausgingen" (No 728) führt Ignatius aus.
Es folgen die nötige Begabung "mit großem Verstand und Urteil" vor allem durch geistliche Erfahrung (No 729), Sorgfalt und Eifer, um Dinge auch zu Ende zu bringen (No 730) und schließlich die nicht zu verachtenden "leiblichen Kräfte". (No 731)
Zu guter Letzt benennt Ignatius noch: "die Vertrauenswürdigkeit und der gute Ruf" (No 733). Für Menschen in Führungspositionen und mit einiger Verantwortung für andere ist das keine gering zu wertende Eigenschaft.
"Überhaupt soll er zu denen gehören, die sich am meisten in aller Tugend ausgezeichnet haben, und er soll am meisten Verdienste in der Gesellschaft [Jesu] haben und am längsten als solcher bekannt sein." (No 735)

Bei all diesen so zusammengetragenen Eigenschaften bräuchte es auch unter sehr weisen und guten Menschen fast einen Übermenschen, um alle diese Kriterien zu erfüllen.
Weil auch Ignatius das wusste, schiebt er sozusagen als Zusammenfassung der basics hinterher: "Und wenn ihm einige der oben genannten Eigenschaften fehlen sollten, soll ihm wenigstens nicht große Güte sowie Liebe zur Gesellschaft [Jesu] und ein gutes Urteil begleitet von guter Wissenschaft fehlen." (No 735)

Da sind sie also, drei kurze Punkte: Güte, Liebe zum Orden und ein gutes Urteil.
Es hat schon schlechtere Auswahlkriterien für Ämter mit Leitungsverantwortung gegeben.

So sieht es Facebook: Die Preisspanne ist wichtig.
Seite der Jesuit General Congregation 36 am 12.10.2016.
Nachdem die 31. Generalkongregation sich Mitte der 1960er noch einmal intensiv mit dem Generaloberen beschäftigte und dabei einerseits das geltende Recht der Wahl auf Lebenszeit bestätigte, und andererseits neue Möglichkeiten für einen Rücktritt einführte, hat die 35. Generalkongregation im Jahr 2008 noch einige zusätzliche Elemente eingebracht.

Unter dem Titel "Leitung im Dienst der universalen Sendung"3 geht es im 5. Dekret vor allem um die heute relevanten neuen Anforderungen. Da heißt es zunächst allgemein:
"Unsere Leitungsstrukturen und Vorangehensweisen sollen sich aus der Perspektive größerer Universalität ergeben." (No 1a) Nicht Enge oder Eingleisigkeit also, sondern ein an weltweiten Bedürfnissen und den vieldimensionalen Fragen einer globalisierten Welt ausgerichtetes vernetztes Handeln will man erreichen.
Dafür sollen die Leitungsstrukturen "geschmeidig, modern und, wo immer möglich, anpassungsfähiger gemacht werden." (No 1b) Innerhalb der großen katholischen Kirche und selbst eingespannt in die Traditionen eines bald mehr als 450jährigen Ordens ist dieser Wunsch nach Flexibilität und Einfachheit in unserer Zeit ebenso erstrebenswert wie ambitioniert. Aber die subsidiäre Einheit eines eher pragmatisch an seinen Aufgaben orientierten Ordens hat in diesen Fragen sicher mehr Chancen als andere weltweit agierende und vernetzte Institutionen.

Dem formulierten Anspruch entsprechend umfasst die "Ausbildung zur Leitung" im selben Dekret auch ganz weltliche Anforderungen an Leitung auf allen Ebenen des Ordens. Genannt werden Teamfähigkeit (No 31b) und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Finanzverwaltung, der Personalverwaltung, der Arbeit mit Medien, aber auch Konfliktlösungskompetenz, Leitung von Zusammenkünften und Bewältigung von Krisen sind genannt (No 31d).
Eine breite Palette, die für den Generaloberen natürlich zu den oben genannten Anforderungen hinzutreten.
Nach vier speziellen Tagen des Gebets und des Beratens mit einzelnen Delegierten (murmuratio) werden die Delegierten am Freitag also – ohne zuvor Bewerber zu küren oder Parteien zu bilden – mit absoluter Mehrheit einen neuen Generaloberen für die Jesuiten wählen.

Beten wir für diese Wahl, dass der neue Generalobere dieses Ordens den Ansprüchen an ihn so sehr genügt, dass seine Arbeit fruchtbar und segensbringend ist.

Nicht umknicken, sondern im Team stehen. Stamm bei Petershagen, 2015.
1   Zitiert nach der letzten zu Lebzeiten des Ignatius noch einmal redigierten Version, dem Text B der Satzungen, in: Ignatius von Loyola, Deutsche Werkausgabe II. Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Würzburg 1998, 580-827. Im Folgenden die Zählung aus dieser Ausgabe in Klammern hinter den Zitaten.
2   Vgl. Ignatius v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 21.

3   In: Dekrete der 35. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu. München 2008.