Samstag, 24. Dezember 2016

Make mankind great again! Gottes Weihnachts-Slogan

Seit ich als Gefängnisseelsorger arbeite, fragen mich immer wieder Menschen, was denn die Inhaftieren von mir wollen, wenn sie um ein Gespräch bitten. Ob sich denn Viele bekehren würden, ob Menschen ihr Gewissen erleichtern wollten.
Wenn ich dann sage, dass ich oft einfach ein Bedürfnis sehe, mit jemandem zu sprechen und jemandem ein familiäres oder ein sonstiges Problem zu erzählen oder eine Frage loszuwerden, findet man das zwar interessant, aber eben nicht besonders spektakulär. (Vom Wunsch nach Tabak und Kaffee einmal abgesehen...)
Tatsächlich ist es ja eine spannende Sache, dass aus diesem kleinen Kind, auf das wir an Weihnachten schauen, am Ende eine Religion entstehen wird, in deren Auftrag ich jetzt im Rahmen des Justizvollzugs tätig bin und Menschen auf einem kleinen Abschnitt ihres Lebens begleite.
Wir feiern die Geburt dieses Mannes aus dem Volk Israel, wegen dem ich heute einen Gottesdienst feiere und der heute noch Menschen dazu bringt, einander ihr Leben zu erzählen, einander ein Stück zu begleiten, einander zuzuhören.
Natürlich ist das Erzählen und Hören nicht nur Jesus geschuldet und vielleicht könnte das auch irgendwie anders möglich sein. Aber schon dann, wenn es allein das wäre, was Jesu Geburt gebracht hat, dass Menschen einander mehr zuhören, wäre das doch klasse.

Licht im Dunkel. Naumburger Dom 2015.
Allerdings, das ist klar, wir würden seine Geburt nicht feiern, wenn das schon alles wäre.
Um einen Kern der christlichen Botschaft, der das erläutern kann, darzulegen, möchte ich den Slogan eines in diesem Jahr sehr bekannt gewordenen Mannes variieren.
Bei der Geburt Jesu geht es darum: MAKE MANKIND GREAT AGAIN!

Nicht eine einzelne Person steht im Fokus, nicht eine einzelne Nation (wie dieser baldige US-Präsident ja suggeriert), sondern die Menschheit als Ganze.
Und es ist Gottes Fokus, um den es hier geht – nicht (nur) das auserwählte Volk Israel, auch nicht (nur) der Mann aus Nazareth, sondern die ganze Menschheit soll (wieder) groß gemacht und aufgerichtet werden durch die Geburt dieses einen kleinen Kindes.

1.
Im Lesungstext aus der Heiligen Nacht heißt es, dass in der Herberge kein Platz für die werdenden Eltern und ihr Kind war (Lk 2,7). Zum einen kann uns das natürlich ethisch aufrütteln, dass auch wir denen, die in Not sind, helfen und einen Platz in unserem Herzen freimachen. Zum anderen aber geht es an dieser Stelle ja um Gott, der einen Platz bei den Menschen sucht. Und er drängt sich nicht auf oder nimmt sich den ihm gebührenden Platz auf irgendwelchen goldenen Kissen, sondern er sucht und fragt – und lässt sich abweisen. Ähnliches hören wir auch im Prolog des Johannesevangeliums, der morgen zu hören sein wird: "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf ." (Joh 1,11)
Es ist nicht selbstverständlich, dass Gott Platz findet in unseren Herzen. Aber wo es geschieht, da können Menschen aufblühen. Das ist das, was die christliche Tradition mit Berufung meint: wo Gott im Lebenslauf eines Menschen Gehör geschenkt wird, wo jemand das findet, was ihn im Innersten berührt und wo er sich selbst spüren kann, wir nennen es oft: wo jemand sich selbst verwirklichen und seine bisher vielleicht verborgenen Fähigkeiten aktivieren kann, dort findet Gott einen Platz – und zugleich wächst ein Mensch aus seiner Tiefe heraus.
"Make mankind great again!" kann also heißen: Gott findet im Menschenherzen einen Platz auf eine Art und Weise, dass Menschen wachsen können.

2.
Diese Geburt wird den Beteiligten auf ganz verschiedene Weise mitgeteilt: Maria wurde ein "Sohn des Höchsten" und ein "König" (Lk 1,32f) angekündigt. Den Hirten wird ein "Heiland" (Lk 2,11) versprochen. Josef wird im Traum der "Immanuel", der "Gott mit uns", verkündet (Mt 1,23). Die Sterndeuter aus dem Osten schließlich suchen den "König der Juden" (Mt 2,2) und einen Hirten (Mt 2,6).
Und doch geht es immer um dieses eine kleine Kind. Eine Rollenüberfrachtung und Überforderung für einen Einzelnen, könnte man sagen.
Oder aber: Gott naht sich jedem Menschen auf seine Weise.
Manche finden Gott in der Stille, andere im Trubel großer Menschenmengen, die einen singen am liebsten, andere lesen in der Schrift, manche zünden eine Kerze an, wieder andere Weihrauch, die einen erfahren ihn in der Größe der Natur, wieder andere beim philosophischen Nachdenken.

Alle gleich und doch alle anders. Alt-Buchhorst, 2016.
Manch einer mag pikiert sein von der Aussage, dass der allmächtige, große und unendliche Gott sich auf den Bedarf eines einzelnen Menschen einlassen würde. Als würde den Wald interessieren, was die Vögel singen.
Aber genau das ist es! Gott zeigt sich jedem Menschen so, wie dieser es braucht. Jesus hat deshalb eine Unmenge an Titeln mitbekommen Er wurde bezeichnet als Weg zum Leben, als Freund in der Einsamkeit, als Retter aus Not, als stärkendes Brot, als Revolutionär aus Galiläa, als Kämpfer gegen Ungerechtigkeit und so fort. Und in allem bringt er Gott nahe zu den Menschen.
"Make mankind great again!" bedeutet dann, dass Gott jeden ganz individuell anspricht, dass Gott sich von jedem Menschen so finden lässt, wie dieser ihn sucht.

3
Gerade in Zeiten, in denen viel Schreckliches geschieht, kann Weihnachten eine Ermutigung sein: "Gegen die Schrecken der Welt wird diese Gotteserzählung gesetzt." Die Antwort auf die Frage, warum Gott denn Mensch geworden ist, kann darum lauten, "dass Gott selbst als Mensch dieser Hoffnung, dass die Schrecken der Geschichte und der Tod nicht das letzte Wort über den Menschen haben werden, ein unverbrüchliches Zeichen setzen wollte".1
Wenn man sich anschaut, wie die ärmliche Geschichte dieses obdachlosen Kindes Jesus weitergeht, mit kleineren Erfolgen und einer bescheidenen Anhängerschaft aus Fischern, Zöllnern und Bauern, mit einer Botschaft, die ihn in einen solchen Konflikt mit den religiösen und weltlichen Obrigkeiten bringt, dass er schließlich gewaltsam umgebracht wird – und wenn man dahinter eine Absicht Gottes vermutet, dann hieße das: "Dieser Gott meint es ernst damit, dass Menschen das Leben riskieren sollen, entschieden in ihrem Gerechtigkeitswillen, lustvoll – und in allem auf Gott vertrauend, dass er dieses Leben an ein gutes, ewig erfülltes Ende bringen will und wird."2
Wenn Gott mit diesem Menschen aus Nazareth so etwas zeigen und eine solche Hoffnung in ihre Herzen säen wollte, dann macht er auf diese Weise das Menschsein wieder groß.
Gott hat in diesem in Bethlehem geborenen Menschen Jesus "die Lust, aber auch die Zumutung, die die Welt darstellt, mit den Menschen geteilt, ist einer der ihren geworden und hat geworben um ihr Ja zu ihm."3
Wie oben schon gesagt, Gott drängt sich nicht hinein, sondern er wirbt, er lädt ein und er hofft selbst auf das Ja des Menschen – Gott hofft auf uns. Papst Franziskus hat am 13.11.2016 zu Gefangenen gepredigt: "Gott hofft! Seine Barmherzigkeit lässt ihn nicht ruhig. Er ist wie der Vater im Gleichnis, der immer auf die Rückkehr des Sohnes, der gefehlt hat, hofft (vgl. Lk 15,11-32). Es gibt für Gott weder Rast noch Ruhe, bis er nicht das verlorengegangene Schaf gefunden hat (vgl. Lk 15,5). Wenn nun Gott hofft, dann kann die Hoffnung niemandem genommen werden, denn sie ist die Kraft, um weiterzugehen; sie ist die Spannung auf die Zukunft hin, um das Leben zu verändern; sie ist ein Ansporn auf das Morgen hin, damit die Liebe, mit der wir trotz allem geliebt werden, zu einem neuen Weg werden kann"4
Trotz alles des Schrecklichen, das Menschen einander antun, hofft Gott auf uns! Eine Wahnsinnsbotschaft!
"Make mankind great again!" heißt zuletzt also auch, dass Gott auf uns hofft, dass er um jeden Menschen wirbt!

Konsequenz des Sich-Einlassens: Rost. Neukölln, Berlin, 2016.


1   M. Striet, Gottes Schweigen. Auferstehungssehnsucht – und Skepsis. Ostfildern 2015, 123.

2   Ebd., 126.

3   Ebd., 127.


4   Predigt an Gefangene zum Ende des Jahres der Barmherzigkeit: http://de.radiovaticana.va/news/2016/11/06/„gott_hofft“_papstmesse_mit_häftlingen/1270393