Freitag, 10. Februar 2017

Auf wen schaut Jesus hinter Gittern?

Im Gefängnis versuche ich auf verschiedene Weise, meinen Gesprächspartnern die aufrichtende Botschaft des Gottes Jesu Christi nahezubringen. Wenn es mir sinnvoll erscheint, spreche ich von Gott, ich verzichte dabei allerdings meist auf konkrete biblische Texte. Bisweilen suche ich aber Anregungen bei der in den Evangelien überlieferten Person Jesu.

In letzter Zeit ist es eine bekannte Perikope aus dem Markusevangelium, die ich als Hilfe anbiete, weil mein Gedanke dazu hoffentlich auch für kirchenferne Menschen (und das ist der Hauptteil derer, mit denen ich Kontakt habe) anschlussfähig ist.

Neues Licht. Berlin 2017.
Am Anfang des zweiten Kapitels sind nach den ersten Taten Jesu schon so viele Menschen in dem Haus versammelt, in dem er sich aufhielt, dass die vier Freunde, die einen auf einer Trage liegenden Gelähmten heranbringen wollen, gar nicht hindurchkommen. So klettern sie auf das Haus und lassen ihn durch das kurzerhand aufgebrochene Dach herunter zu der Stelle, an der Jesus sitzt und lehrt.
Da liegt er nun dank des zupackenden Mutes seiner Freunde vor Jesus. Dieser nutzt die eingetretene Störung für sich und sieht den Eindringling in keinster Weise als Ärgernis an. Doch auch als den Kranken, der der Liegende ja augenscheinlich ist, sieht er ihn nicht in erster Linie.
Vielmehr schaut er auf eine ganz andere, tiefer liegende Bedürftigkeit – seine Sünden. Darum ist sein erster Satz in diesem Abschnitt: "Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!" (Mk 2,5)

Im Gefängnis wiederum erfahren sich viele Menschen auf ihre schlechten Taten reduziert. Wie bei dem Gelähmten die Krankheit offen zutage liegt, so ist es bei Menschen in Haft ihre augenscheinliche Schuld, die im Vordergrund steht und auf die ein Großteil der Aufmerksamkeit (mindestens der Menschen außerhalb von Haftanstalten) konzentriert ist.

Dass Jesus nun den vor ihm liegenden Menschen nicht auf das Naheliegendste reduziert, ist mein Hauptaugenmerk. Alle weiteren Fragen, wie die Ärgernis erregende Sündenvergebung, der Glaube der Freunde, die Heilung etc., treten für mich in der Situation des Gefängnisses dahinter zurück.
Wichtig ist mir: Jesus schaut ihn ganz anders an als die Anderen, er schaut tiefer.

Darin verbergen sich für Häftlinge (aber auch für jeden anderen Menschen) die Fragen:
Wer bin ich in meinem Alltag vornehmlich? Als wer erfahre ich mich im Umgang mit meinen Nächsten? Wen sehen sie in mir?

Und dann: Als wer sieht mich Jesus? Was erkennt er als meine tiefste Sehnsucht? Wodurch richtet er mich wieder auf?

Jesus handelt an dem Gelähmten – denn dieser ist mehr als Freund, hilfloser Krüppel oder Anschauungsobjekt eines Streites mit den Pharisäern.
Vielleicht geht er darum am Ende weg, weg von all den Zuschreibungen und Blicken.
Weil Jesus in ihm etwas Wichtigeres gesehen hat als all die Anderen. Und das war es, was ihn letztlich aufgerichtet hat.

Ich hoffe, der Hinweis auf dieses Handeln Jesu kann auch meine Gegenüber bisweilen zu einer neuen Perspektive auf sich selbst und ihr Leben führen. Und nicht zuletzt zum Vertrauen, dass Gott sie barmherzig anschaut und liebevoll aufrichten will.

Lampe im Rathaus Neukölln. Neukölln, Berlin 2014.