Samstag, 18. März 2017

Die Grenzen und die tiefe Sehnsucht. Über Jesu Gespräch mit der Samariterin (Joh 4)

Das Gespräch am Jakobsbrunnen aus dem Evangelium des Sonntags (Joh 4,5-42) hat exemplarischen Charakter. Der Evangelist Johannes stellt anhand der Begegnung Jesu mit der Samariterin heraus, dass Menschen mit einer existenziellen Frage oder einer tiefen Sehnsucht im Herzen bei Jesus Gottes Heil und ein Leben in Fülle finden können.

Im Verlauf des Gesprächs erkennt die Frau Jesus in immer tieferem Maße – zunächst ist ihr nur klar, dass er als „Jude“ auf sie zutritt (v9). Nach einigen Sätzen fragt sie sich (und ihn) schon, ob er denn größer als ihr gemeinsamer Vorvater Josef sei (v12) und kommt zum Schluss, dass er ein „Prophet“ sein müsse (v19). Als er dann von der Zeit spricht, in der Gott unabhängig von einzelnen Anbetungsorten und -formen zu finden sei, erwähnt sie den verheißenen „Messias“ – als der er sich ihr sogleich zu erkennen gibt (v25.26). Das alles führt schließlich zum Bekenntnis der ganzen Stadt zu Jesus als dem „Retter der Welt“ (v42).

Hier könnte nun die jeweils persönlich anzustellende Überlegung anknüpfen, wo ich persönlich denn gerade auf diesem Weg stehe und wer Jesus für mich ist.

Deckel auf! Rixdorf, Berlin, 2015.
Unterstützend möchte ich drei Fragen anbieten, die vom Text ausgehend näher in die Spuren dieses Weges führen.

1 Welche Grenzen hindern mich?
Die Ausgangssituation des Evangeliums ist die Ankunft eines religiösen Ausländers auf der Durchreise. Samariter und Juden leben zwar nah beieinander, haben normalerweise aber nichts miteinander zu tun (dazu unter 3. noch mehr). Zudem verehren beide den gleichen Gott und berufen sich auf die Glaubensvorfahren der Geschichte, nur halten sich Konflikte gerade dann besonders hartnäckig, wenn man sich eigentlich recht nah ist. Aus der christlichen Kirchengeschichte kennen wir das im Streit zwischen den Konfessionen nur zu gut, auch in Familien oder unter Nachbarn taucht dieses Problem nicht selten auf.

Was tut nun Jesus? Er überwindet diese Grenze. Ganz selbstverständlich spricht er die Frau an (auch das kann in patriarchalen Gesellschaften ja schon problematisch sein). Die verwunderte Frage der Frau: „Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten?“ (v9) lässt sich einfach mit unseren Lebensrealitäten füllen.
Wie kannst du als Christ mich, einen Muslim, um etwas bitten? Wie kannst du als Beamter mich, einen Inhaftierten, um etwas bitten? Die Beispiele ließen sich beliebig erweitern.
Darum also auch für mein Leben – wo heißt es da: Wie kannst du … mich … um etwas bitten?

Jesus kann. Und wir können auch. Denn manchmal ist das Überwinden von Grenzen viel einfacher als gedacht. Zumal dann, wenn es reine Konventionen und keine wirklich gravierenden Verschiedenheiten sind, die im Wege stehen.

Bezogen auf die religiöse Sphäre: Was hindert mich, auf Jesus zuzugehen? Was für scheinbar unüberwindbare Grenzen tun sich in mir selbst auf, wenn es um Gott geht?
Ist es mein Überdruss? Meine Ungeduld? Mein fehlender Glaube? Meine Langeweile?
Oder glaube ich, eigentlich gar nichts von Gott zu wollen?

Damit erreichen wir die zweite Frage – Was will ich denn überhaupt von Gott?

2 Was ist mein Durst?
Der Grund für Jesu Grenzüberschreitung war sein Wunsch nach Wasser. Er wollte etwas von der samaritischen Frau. Sein Wunsch ist dann auch der Aufhänger für das sich anschließende Gespräch, in dem in bildhafter Weise die Rede vom Durst und vom Wasser für die menschliche Sehnsucht steht.
Zunächst: Es gibt eine Reihe von tiefen Wünschen und Sehnsüchten, die wir haben und die auch ganz wichtig sind, damit unser Leben funktioniert. Neben dem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung, der gerade im Gefängnis besonders spürbar wird, gibt es den Wunsch nach Sicherheit und damit nach materiellem Besitz. Es gibt die sexuellen Wünsche, den Wunsch nach menschlicher Zuwendung und allgemeiner nach Gemeinschaft. Ältere Menschen fragen sich manchmal, ob sie überhaupt noch gebraucht werden – ihr Wunsch ist es, jemandem wichtig zu sein. Und dieser Wunsch betrifft natürlich nicht nur ältere Menschen, so wie der Wunsch nach Freiheit nicht nur Gefängnisinsassen betrifft.

Auf die eine oder andere Weise können wir diese Wünsche erfüllt bekommen, manche leichter, andere nie, jedoch meist mit anderen Menschen zusammen oder durch sie und ihre Anwesenheit in unserem Leben.
Was löscht den Durst? Grünheide, 2015.
Wir haben unsere Durstlöscher. Und wenden uns anderen Dingen zu, wenn unser Durst einstweilen nicht mehr spürbar ist. Ebenso gesteht Jesus im Evangelium den anderen Wässern zu, dass sie tatsächlich den Durst löschen können. Aber der Durst kommt wieder, das kennen wir.

Ich glaube, dass hinter ganz vielen Sehnsüchten eine grundlegende Sehnsucht steht. Nämlich der Wunsch, angenommen zu sein, so wie ich bin. Vor allem, was ich leisten könnte und trotz aller Schuld, die ich auf mich geladen habe. Nicht mehr Männchen machen müssen, um etwas zu bekommen, nicht muskelbepackt oder toll im Bett oder ein cooler Sprücheklopfer sein müssen. Nicht reduziert werden auf meine Vergangenheit oder ewig untergebuttert wegen eines Fehltrittes.

Stattdessen: bejaht sein – vor aller Leistung und trotz aller Schuld.

Das ist ein Durst, eine tief in uns wohnende Sehnsucht, von der ich glaube, dass Jesus hauptsächlich sie meint, wenn er davon spricht, dass wir niemals mehr Durst haben müssen.
Alle anderen Wünsche werden damit nicht egal, aber sie stehen unter der Verheißung, dass wir keine Angst mehr haben müssen, irgendwie schlechter gestellt zu werden als andere und dass wir gewollt und bejaht sind so wie wir sind.

Wenn ich also in mich hineinhorche – gibt es dann diese Sehnsucht nach Bejahtsein auch in mir? Kann ich schon ein kleines Vertrauen spüren, dass Jesus genau das bringen wollte – die Botschaft, dass wir von Gott gewollt und geliebt sind?

Wenn ich diese vertrauende Sehnsucht spüre, und sei sie noch so klein, dann stellt sich die dritte Frage.

3 Wo finde ich Gott?
Beginnen wir wieder beim Evangelium: Auf den Hinweis der Frau, dass Juden und Samariter an unterschiedlichen Orten beten, erklärt Jesus, dass weder das eine noch das andere der Weisheit letzter Schluss sei. Gott will "weder auf diesem Berg noch in Jerusalem" (v21) angebetet werden, sondern "im Geist und in der Wahrheit" (v23).

Ein Grund der Trennung von Samaritern und Juden war, dass sich die Samariter nicht im Rahmen der israelitischen Kultreform und der Zentralisierung der Verehrung Gottes im Jerusalemer Tempel darauf beschränken wollten, Gott nur dort anzubeten, sondern auf dem Berg Garizim eine eigene Kultstätte für denselben Gott hatten.
Eine feste Burg? Alt Lobeda, Jena, 2014.
Wenn Jesus nun weder der einen noch der anderen Religion bezüglich ihres Lieblingsgebetsplatzes zustimmt, sondern über beide hinaus will, dann ist das zunächst sehr sympathisch gegen religiöse Engstirnigkeiten gerichtet.
Jesus fügt aber an, dass Voraussetzung für diese Gottesbegegnung das Beten in Geist und Wahrheit sei.

Für uns kann das zuallererst bedeuten, dass wir nicht in einen evangelischen oder katholischen Gottesdienst müssen, um Gott zu begegnen. Und schon gar nicht gegen andere Religionen polemisieren brauchen, weil vielleicht weder mein noch ihr Lieblingspunkt den Kern trifft. (Auch wenn natürlich klar ist, dass ich immer ein bißchen rechter habe als Menschen mit anderer Überzeugung...)
Wir finden Gott im Geist – aber was meint das?

In erster Linie geht es darum, dass wir im Gebet offen sind. Hören üben.
Nicht wie in einer Spielszene für Jugendliche, in der Gott einem Betenden antworten will und als erstes unterbrochen wird mit: Störe mich nicht, Gott, ich bete.
Dazu gehört, dass wir annehmen, dass Gott auch wirklich Kontakt aufnehmen will mit uns. Wenn die Wahrheit ist, dass er uns annimmt und bejaht, wenn er unseren Durst stillen will und auf unsere Sehnsucht eingeht, dann müssen wir ihn auch lassen. Auch diese Grenze also müssten wir dann aufgeben.

Denn in der Unbegrenztheit finden wir ihn.

Ich fasse zusammen:
Was will ich von Gott? Ich kann es ihm immer wieder sagen.
Vertraue ich darauf, dass er mich bejaht – vor aller Leistung und trotz aller Schuld?
Welche Orte oder Weisen habe ich, um Gott zu suchen – kann ich hören?
Nehme ich ernst, dass er bei mir sein will?