Sonntag, 26. März 2017

"Weil er so geboren wurde" – Geschaffen für das Licht.

Es fiel mir erst auf, als ich das Evangelium (Joh 9,1-41) heute im Gemeindegottesdienst hörte. Gelesen hatte ich den Lesungstext mehrmals, ohne dass es zündete, aber beim Hören kam mir dann ein Gedanke.
Die Rede vom dem Mann, den Jesus von seiner Blindheit heilte, wird regelmäßig begleitet von dem Hinweis, dass er "von Geburt an" (v1.19.20 u.ö.) blind war. Vieles dreht sich bei dem Konflikt mit den Pharisäern dementsprechend darum, ob es ein wirkliches Wunder war, das Jesus an einem Blindgeborenen vollbrachte, oder ob ein Irrtum vorliegt (v9), oder ob es sich um eine böse Täuschung seitens der Jesusanhänger handelt, bei dem ein kurze Zeit "Erblindeter" nun zum Schein geheilt sei.
Das Evangelium spielt mit der Doppelbedeutung des "Sehens" als physisches Sehenkönnen und als meta-physisches Erkennen. Im Hintergrund stehen nämlich, typisch für Johannes, die theologischen Fragen, was sehen und Jesus als den Messias zu erkennen eigentlich heißt und was es (in johanneischer Sicht: für die Juden) bedeutet, diesen Jesus, der das "Licht der Welt" (v5) ist, abzulehnen.

Der Anschluss ist da. Rixdorf, Berlin, 2017.
Auf dieser Denklinie möchte ich kurz entlanggehen.

Und zwar mit einer Antwort, die sich bei uns eingebürgert hat, mit den immer weiterführenden Warum-Fragen meiner kleinen Tochter umzugehen. Wenn das Fragen an einem Punkt ankommt, dass keine sinnvolle Antwort mehr möglich ist: "Warum ist das eine Frau?", dann heißt es einfach: "Weil sie so geboren wurde." Natürlich überspringt das eine Reihe längerer Diskussionen, die es auch gibt, aber manches muss eben an dieser Stelle enden.

Was für Kinder gilt, ist aber nicht immer der beste Schluss für Erwachsene.
Denn die Tatsache, dass ein Mensch so oder so ist, bedeutet bei Gott eben nicht, dass er immer so bleiben müsste. Gerade in der Fastenzeit, wenn es um Umkehr und Neuanfang geht, sollte das eigentlich selbstverständlich sein.
Und doch denken wir häufig so – einmal Junkie, immer Junkie, einmal Knasti, immer Knasti, und so fort.

Das Evangelium zeigt nun, dass es möglich ist, aus einer lebenslangen Gottferne herauszukommen und die Augen zu öffnen für das wahre Licht der Welt. Wer dies erlebt, hat sie dann, Rousselots "Augen des Glaubens", mit denen die Welt plötzlich ganz neu sichtbar wird und eine Sache wie die Heilung eines Menschen der Hinweis (das "Indiz") ist, der die wahre Natur des Heilenden zeigt: "... die Zusammengehörigkeit wahrnehmen heißt, das Indiz als Indiz wahrnehmen. Das Indiz aber kann als solches nicht wahrgenommen werden, ohne daß man gleichzeitig kraft einer notwendigen Wechselbeziehung und mit dem gleichen Gewißheitsgrad die vom Indiz angezeigte Sache wahrnimmt."1 Wenn das Indiz, dass Jesus dieses Wunder getan hat, wirklich ein Indiz ist, dann eröffnet es als Indiz den neuen Blick auf ihn als Messias.

Diese Zusammengehörigkeit wahrzunehmen ist möglich, aber nicht notwendig. Man kann auch weitergehen und zweifeln wie die Pharisäer des Evangeliums.
Doch für diesen neu sehenden Menschen erscheint Jesus, der ihm das Augenlicht gab, als das Licht der Welt, als Menschensohn (v35), als Prophet Gottes (v17), als Christus (v22) und Retter.

Es stimmt also beides: Wir können uns ändern, sind nicht festgelegt auf die vielfachen Bedingungen und Begrenzungen unseres Lebens. Und zugleich sind wir für etwas geschaffen – Jesus als unser Licht zu erkennen. 
Wir haben die Augen dafür – wir müssen sie uns nur öffnen lassen. Dafür ist Jesus schließlich gekommen: "damit die Blinden sehend" (v39) werden.

Wir können anders sein. Wir können ihn erkennen – weil wir so geboren wurden.

Ohne Licht nur Welt. Rixdorf, Berlin, 2017.

1   P. Rousselot, Die Augen des Glaubens. Einsiedeln 1963, 31.