Samstag, 15. April 2017

Ostersonntag: Andeutungen lesen – Begegnung erleben – leibhaftig werden

"Und wie gehts weiter?"
Meine Tochter fragt das an manchen Tagen nach jeder gelesenen Seite im Buch. Manchmal ist das etwas anstrengend – aber genauso ist das Leben ja: es geht immer weiter.

Nur am Karfreitag schien es anders. Es schien, als wäre die kurze glanzvolle Geschichte Jesu zu Ende. Da zieht er knapp drei Jahre durch Galiläa und predigt und heilt und beruft Jünger und setzt Zeichen von Gottes Liebe. Und was hat er davon?
Er wird umgebracht. Jesus stirbt. Allein.

1 Rückblick in Liebe – Andeutungen wahrnehmen
Doch schon in der Passionserzählung häufen sich die Hinweise, wie es weitergeht.

Begegnung von Licht und Schatten.
Neukölln, Berlin 2014.
Zu Blut und Schmerz, zu Gewalt und Qual von Karfreitag gehört nämlich auch, dass es noch etwas anderes als Gewalt gibt – nämlich Jesu Gewaltlosigkeit und die liebevolle Abnahme des toten Leibes vom Kreuz; etwas anderes als Blut – nämlich das Tuch der Veronika; etwas anderes als Schmerz – nämlich Simon von Zyrene, der das Kreuz mitträgt.
Und am Schluss der Lesung von der Passion erkennt der römische Hauptmann: "Wahrhaftig, das war der Sohn Gottes." (Mk 15,39) Mitten im Elend eines blutig Hingerichteten sieht er schon mehr.

Denn in diesen vielen kleinen Dingen kündigt sich mitten im Horror schon ein Darüberhinaus an. Gewalt und Tod, Einsamkeit und Frust, Langeweile und Wut haben nicht das letzte Wort.

Die Antwort auf "Und wie gehts weiter?" heißt Ostern also: Das Leid ist nicht alles! Gott schenkt noch mehr! Das wars noch nicht!
In den liebevollen Begegnungen, in der Nähe, im Überschreiten von Gewalt und Leid hin zu Anteilnahme und Gemeinschaft deutet sich noch im Leiden an, was Gott vorhat: neues Leben zu schenken.

Die Frage für uns ist darum: Wo sehe ich Andeutungen von etwas Neuem in meinem derzeitigen Leben? Wo hoffe ich, dass das, was ist, noch nicht alles war?

2 Begegnung macht es aus
Was jetzt kommt, ist das Ende jeglicher Gewalt. Ostern ist die Aufhebung der leidvollen Einsamkeit, die das Leben vieler Menschen bestimmt.
Ostern kündet, in Gefängnissprache gesprochen, vom Ende der Vereinzelung, jeder allein in seine Zelle. Ostern ist Aufschluss für immer. Ostern ist dauernde Lockerung und ja, sogar Entlassung und ein Neuanfang im Jubel. Ostern ist Himmel auf Erden.

Aber wir wissen: unsere Lebenswirklichkeit ist oft wie eine Entlassung ohne euphorischen Jubel. Da kommt die Jobsuche, der mühsame Neuaufbau von Beziehungen, die Abkehr von schädlichen Kontakten, die Angst, ob noch jemand da ist, der es ernst meint mit mir.
Das wirkliche Leben ist Arbeit und Disziplin und immer wieder: Scheitern.

Ähnlich scheint es im Evangelium (Joh 20,1-9) den beiden Jüngern am Grab zu gehen. Sie kommen angerannt und schauen hinein und sehen – nichts. Der Leichnam ist fort, sie sind verwirrt. Einer kapiert es schneller – aber schweigt, der andere (der erste Papst!), begreift nichts – und dann gehen sie einfach wieder nach Hause.

Diesem trist-traurigen und realistischen Blick schenkt Gott eine Verheißung.
Der trauernden Maria beispielsweise wird gleich in den nächsten Versen des Evangeliums der Auferstandene begegnen.
Und auch die Jünger begegnen Jesus anschließend noch. Erst die Begegnung mit ihm macht der Verwirrung ein Ende und hilft ihnen, zu glauben. Er sagt ihnen Frieden zu und sendet sie, dass sie Versöhnung leben sollen und Vergebung aussprechen (vgl. Joh 20,19-23).

Kelch vor Himmel.
Brüdergemeine Rixdorf, Berlin, 2015.
Was auch immer an diesen Begegnungsgeschichten historisch dran ist – entscheidend ist, dass es Begegnung sind, die die Menschen verändern.
Sie hätten ja in ihr altes Leben zurückkehren und es sich in ihren alten Berufen gut gehen lassen können. Wahrscheinlich haben das eine Reihe von Jesus-Sympathisanten auch gemacht: 'Der angebliche Befreier ist tot, dann gehe ich eben wieder zu meiner Familie.'
Aber einige haben nach seinem Tod einen solchen Schub bekommen, dass sie ihr Leben drangegeben haben für die Botschaft des Auferstandenen und dass ihre Verkündigung durch das ganze Römische Reich ging und sogar wir heute noch hier sind und von Jesus erzählen.

Es gab also irgendeine Art Begegnung mit dem Auferstandenen, die so entscheidend war, dass sie im Leben dessen alles umgekrempelt hat. Sie hat den Jüngern klar gemacht, dass bei Gott mit dem Tod nicht alles aus ist. Sondern dass seine Liebe den Tod überwindet und Versöhnung und Gemeinschaft mit Gott schenkt. Und dass diese Botschaft zu den Menschen muss.
(Auch heute spüren sich viele Menschen auf der ganzen Welt von Gott geliebt, sie ahnen im Gebet Gottes Ruf und lassen sich darauf ein.)

Wenn Sie dann also am Ende Ihrer Haftzeit vor der Tür der Haftanstalt stehen, müssen Sie sich fragen, wohin es nun gehen soll. (Spätestens dann!)
Ist das Wichtigste eine ordentliche Ladung Alkohol? Oder Rache an irgendjemandem? Oder versinken Sie in Mutlosigkeit? Oder haben Sie konkrete Pläne mit konkreten Schritten?

Die Jünger standen nach dem Tod Jesu ähnlich da – Es ist vorbei, was sollen wir jetzt tun?
Dann hatten sie ihre Begegnungen mit dem Auferstandenen.
Ich hoffe, dass auch Sie Begegnungen machen können, die Sie zu mehr erfülltem Leben führen – zu Versöhnung, zu Frieden, zu Gemeinschaft.

Oder als Frage: wo haben Sie vielleicht jetzt schon Begegnungen, die Sie ermutigen und aufrichten? Begegnungen, die Sie zu mehr Leben führen und zu Versöhnung?

3 Der Leib
Eine kurze Anmerkung noch zu dem verschwundenen Leichnam. Theologen und Historiker streiten ja seit dem Beginn des Christentums darüber, welche tiefere Bedeutung es hat, dass der Leichnam Jesu nicht mehr da war.
Das hat vor allem zu tun mit der damaligen Vorstellung von der Auferstehung. Die Botschaft vom Auferstandenen wäre nicht verstanden worden, hätte da noch ein toter Körper gelegen. Wie sollte einer auferstanden sein, wenn doch dort noch sein Körper liegt...

Skulpturen im Garten.
Georg-Kolbe-Museums, Berlin, 2015.
Aber es geht noch eine Spur tiefer, nämlich um die Vorstellung von der leiblichen Auferstehung.
Aber hier muss man sofort einhaken und einem Missverständnis vorbeugen – "Auferstehung des Leibes heißt nicht Auferstehung des Körpers oder des Leichnams, Auferstehung bedeutet vielmehr, daß im Tod der ganze Mensch mit seiner konkreten Welt und Geschichte von Gott neue Zukunft erhält."1
Es geht nicht darum, dass Jesus ein "ins allgemein biologische Leben Zurückgekehrter [wäre], der dann nach den Gesetzen der Biologie eines Tages wieder sterben müsste."2
Wenn wir in den Evangelien von Jesu Erscheinungen hören, dann sind den Autoren zwei Dinge gleichzeitig wichtig: Jesus ist nicht bloß ein Gespenst oder reiner Geist – er isst mit den Jüngern (vgl. Lk 24,42f). Aber zugleich ist er nicht sofort äußerlich erkennbar und auch nicht mehr an diese Welt gebunden – er kommt auch in geschlossene Räume und die Emmausjünger erkennen ihn ebensowenig wie Maria von Magdala (Lk 24,15f; Joh 20,14ff; 20,19.26).

Das bedeutet: Das Christentum ist keine Gespenster- und keine Frankenstein-Geschichte! Es geht nicht um Geisterglauben und nicht um revitalisierte Tote.

Sondern: Es ist die Verkündigung vom wahren Leben bei Gott. Jesus ist mit all den Erfahrungen, die er in der Welt gemacht hat, mit allem, was ihn in Galiläa und am Schluss Jerusalem geprägt hat, in die "Welt des reinen Lebens"3 gegangen, in die Gemeinschaft mit Gott, in der es keinen Tod mehr gibt.
Das Grab ist leer, weil Jesus ganz bei Gott ist.

Auch für uns gilt: das, was wir in unserem Leben in der Welt geworden sind; was uns geprägt hat; wer wir sind mit unserer ganz persönlichen Geschichte – das alles meint Leiblichkeit nach der christlichen Tradition.
Alles das, was wir im Kontakt mit der Welt erlebt und erlitten haben, hat uns zu dem gemacht, was wir sind – die individuelle leibgeistige Person, die wir geworden sind.
Auch das neue Leben gilt darum einer Person, die geprägt wurde "durch ihr leibhaftiges Leben in der Welt" und "in deren konkreter Prägung Welt eingeschrieben, geborgen, aufgehoben ist."4

Und diese ganze Person ist Gott wichtig. Alles ist wichtig und wird von Gott angenommen – und verwandelt in ein neues Leben geführt.

Das wäre mein dritter Punkt: Wir Menschen sind Gott als ganze Menschen wichtig. Als ganze Person, mit unserer ganzen Geschichte. Und alles will er verwandeln und ins Leben zu sich führen.


Ich wünsche Ihnen, dass Gott Sie berührt und Sie in ihrem Leben schon die Andeutungen der Auferstehung zu etwas Neuem finden! Ich wünsche Ihnen, dass Sie seine Liebe zu Ihnen und Ihrem Leben spüren können in Begegnungen, die Sie aufrichten und versöhnen! Ich wünsche Ihnen, dass Sie spüren können, dass Sie Gott teuer sind mit Ihrem ganzen Leben mit Brüchen und Grenzen, mit Ihrer ganzen Geschichte – und dass er Sie verwandeln kann.

Blick über Land bei Rahrbach. 2015.


1   G. Greshake, Stärker als der Tod. Zukunft – Tod – Auferstehung – Himmel – Hölle – Fegefeuer. 6. Aufl. Mainz 1981, 70.
2   J. Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg i.Br. 2011, 298.
3   Ebd., 293.
4   G. Greshake, a.a.O., 69.