Montag, 19. Juni 2017

Barmherzig wie ein Samariter? Vier Haltungen in Jesu Gleichnis.

"Wer ist mein Nächster?" (Lk 10,29) – So lautet die Frage, auf die Jesus im Lukasevangelium mit einer der bekanntesten biblischen Geschichten, nämlich dem Beispiel vom barmherzigen Samariter, antwortet.
Da wird ein Reisender von Räubern zusammengeschlagen und blutig liegengelassen. Als fromme Männer vorbeikommen und ihn sehen, lassen sie ihn liegen. Nur ein Ausländer hilft dem Verletzten, eben der namengebende Samariter. So weit, so bekannt.

Was tut meine Hand?
Grünheide, 2017.
In der Gebetstradition der Jesuiten gibt es den Vorschlag, sich einen biblischen Text zu erschließen, indem man in die dargestellte Situation hineinfühlt und dann in sich selbst hineinhorcht: Welcher Platz wäre für mich in meiner augenblicklichen Stimmung der richtige?
Wenn ich mir die Geschichte Jesu in diesem Licht anschaue, erkenne ich vier unterschiedliche Haltungen.

Erstens: Ich schlage zu.
Auf Anhieb würden wenige Menschen diese Aussage für sich selbst gebrauchen. Gewalt lehnen wir ab. Doch der Schlag kann ja auch ein anderer sein, einer, der ohne physische Gewalt auskommt: wo sich meine Bedürfnisse ungehindert nach vorne drängeln dürfen. Wo ich eine leise Bitte ignoriere. Wo ich über die Bedürfnisse meines Gegenübers hinweggehe. Wo auch ich den schmutzigen Witz belache.
Was die Räuber tun – sie schlagen zu und kümmern sich nicht mehr. Das kennen wir zu gut
Die Möglichkeiten dazu liegen in uns. Doch wir müssen sie nicht zulassen.

Zweitens: Ich bin verletzt.
Das Gegenüber zur ersten Haltung. Es gibt Momente in meinem Leben, da kann ich einfach nicht mehr, weil mich eine Begegnung oder ein Gespräch einfach aus der Bahn geworfen hat.
Und je nach meinem inneren Bild von mir selbst wirkt sich das dann aus: vielleicht scheint sich dadurch etwas zu bestätigen, was ich schon mein Leben lang glaube, gespürt zu haben – nämlich, dass ich schwach bin.
Oder aber mein auf Stärke und Unbesiegbarkeit gepoltes Selbstbild bekommt dadurch einen Knacks, denn ein solcher Schlag war darin nicht einberechnet.
Wie auch immer es mir damit geht – Hilflosigkeit und Verletzungen gehören zu unserem Leben.

Drittens: Ich schaue weg.
Das kann ich gut. Und muss es doch auch, denn sonst komme ich selbst nur in Schwierigkeiten. Oder?
Wann ich Verantwortung übernehme und wann ich einfach weitergehe, wie es die frommen Männer in Jesu Geschichte taten, das ist eine schwierige Entscheidung. Doch diese Entscheidungen prägen meinen Charakter und letztlich mein Leben. Und nicht immer ist der anfangs einfacher scheinende Weg auch tatsächlich leichter.

Viertens: Ich helfe.
Das nun ist der von Jesus emfohlene Weg. "Geh und handle genauso" (Lk 10,37) sagt er am Ende des Evangeliums und lebt auch selbst in dieser Weise: aufmerksam werden, hingehen, sich die Hände schmutzig machen, umsonst helfen, wieder gehen.

Die Frage, wer mein Nächster sei, beantwortet Jesus mit der Geschichte, in der sich diese vier Haltungen zeigen. 
Der Blick auf die unterschiedlichen Haltungen kehrt die Frage um – danach, wer ich bin.
Darin steckt nicht eine einlinig simple Antwort, sondern die Frage, welche Facetten zu mir gehören und welche Haltungen mich prägen.
Diese Facetten kann ich vor Gott bringen.

Vier Möglichkeiten liegen vor mir. S-Bahnhof Gesundbrunnen, Berlin, 2017.