Montag, 31. Juli 2017

"Niemanden unzufrieden zurücklassen" – Die Umgangsregeln des Heiligen Ignatius

Das Konzil von Trient (1545-1563): Man muss es sich wohl ein bisschen so vorstellen wie die Verhandlungen, die 2015 zum Klimaschutz-Abkommen von Paris geführt haben – eine große Versammlung von Delegierten und Spezialisten von überall her, die versuchen, Vereinbarungen zu finden, um möglichst einig und effektiv auf die größten aktuellen Herausforderungen zu reagieren.
Ignatius von Loyola konnte einige Mitbrüder aus seinem gerade entstandenen Orden als Theologen auf die Kirchenversammlung entsenden, die sich den aktuellen theologischen und kirchenpolitischen Herausforderungen Luthers und der Reformation stellte.
Eine qualitätvolle Ausbildung auf der Höhe der damaligen Theologie hatten die Jesuiten in Alcalá und an der Pariser Sorbonne erhalten. Das machte sie theologisch geeignet – doch wie sollten sie ihre guten Fachkenntnisse auch wirksam ins Spiel bringen?

Durchgang. Bremen, 2015.
Als Ordensoberen war Ignatius besonders wichtig, dass die entsandten Jesuiten, auf deren Treue zu Kirche und Orden er vertrauen konnte, "vorausschauend und in einiger Ordnung" ihren Aufgaben nachgingen.

Dazu sandte er ihnen zu Beginn des Jahres 1546 einen Brief mit Instruktionen.1 In diesem Brief fanden sich keine inhaltlichen Erörterungen von kontroversen theologischen Fragen (dies überließ er der theologischen Kompetenz der dafür Entsandten), sondern formale Erwägungen.

Von der konkreten Situation abgehoben finden sich im Brief einige Kommunikationsregeln, die auch heute noch interessant sein können, wie gleich zu sehen sein wird.
Neben diesen Regeln fordert Ignatius die Jesuiten auf, pastoral und sozial aktiv zu bleiben und sich nicht nur hinter der Theologie zu verstecken – theologische Wissenschaft und Sorge um die Seelen gehören für ihn unabdingbar zusammen. Außerdem weist er die Gruppe an, gut miteinander im Kontakt zu bleiben, sich auszutauschen und einander ausführliche Rückmeldungen zu geben.

Als Vorzeichen der sonst wenig theologisch oder spirituell formulierten Umgangsregeln kann das Vertrauen auf Gottes Gegenwart gesehen werden, wenn Ignatius zu Beginn mehrfach betont, dass die "Gunst des Herrn" entscheidend ist. Für den Heiligen steht eben nicht der eigene Nutzen im Vordergrund, sondern die größere Ehre Gottes, die er durch seine Kommunikationsvorgaben befördern will.

Zuerst fällt auf, dass er zweimal schreibt, er "wäre langsam im Sprechen". Vor allem hat er dabei im Blick, dass die Mitbrüder nicht anderen ungefragt ihre vermeintlichen Richtigkeiten hinwerfen, sondern beim Gegenüber sind, konkret, "um die Auffassungen, Gefühle und Willen derjenigen, die sprechen, zu verspüren und kennenzulernen, um besser zu antworten oder zu schweigen."
Zurückhaltung und die ruhige Distanz zur eigenen Meinung helfen, angesichts des auf diese Weise besser einzuschätzenden Gegenübers dann die eigenen Argumente besser und zu gegebener Zeit vorbringen zu können.

Ferner fordert Ignatius auf, die fraglichen Stoffe so durchdrungen zu haben, dass auch die Gegenseite angemessen wahrgenommen werden kann und meint darum, die Jesuiten sollten stets "Gründe für beide Seiten geben, um sich nicht als durch eigenes Urteil beeinträchtigt zu zeigen". Auf diese Weise stehen nicht der Konflikt oder die Personen, sondern das bessere Argument im Fokus. Ignatius fügt an er würde sich bemühen, "niemanden unzufrieden zurückzulassen". Nicht nur im Hinblick auf die Würde des Gegenübers und seiner Meinung, aber mehr noch im Hinblick auf die sich dadurch öffnenden Möglichkeiten des weitergehenden Gesprächs ist das eine vernünftige Vorgehensweise.

Dießener Himmel. Dießen, 2015.
In eine ähnliche Richtung geht die folgende Instruktion, dass es nämlich nicht darum gehen könne, viele Autoritäten im eigenen Sinne zu zitieren, sondern vielmehr anzustreben sei, "mit allen gut [zu] stehen" und "für niemanden eine Leidenschaft [zu] haben". Je nach Fortgang der Verhandlungen stehen so nicht nur strategisch, sondern mehr noch mental und emotional alle Türen offen. Legte man sich mit Nachdruck schnell und zeitig fest, würde unter Umständen ein Zurückrudern nötig werden – und Sympathien wären auch nicht gewonnen.

Schließlich muss auch ein geeigneter Zeitpunkt gewählt werden, um die eigenen Argumente vorzubringen. Dabei empfiehlt Ignatius, "nicht auf meine freie Zeit oder Zeitmangel und Eile bei mir zu achten, das heißt, nicht ob es mir gelegen ist, sondern ob es gelegen und angemessen ist für die Person, mit der ich verhandeln will, um sie zu größerer göttlicher Ehre zu bewegen."
Auch hier also der Grundtenor: absehen von sich und den eigenen Nöten oder Wünschen und zugunsten der Sache dem Anderen den Vortritt lassen.

Alle genannten Punkte zielen auf die Beziehungsebene. Ignatius weiß, wie wichtig es ist, auch mit denen, die andere Standpunkte vertreten, eine gemeinsame Basis zu haben. Darauf sollten die Mitbrüder besonders achten, indem sie nicht sich und ihre eigene Sicht in den Vordergrund drängeln.
Zugleich fällt auf, dass seitens der Mitbrüder eine gewisse innere Distanz zu den eigentlichen Problemfragen hergestellt werden soll, damit nicht das Durchdrücken eigener Positionen Movens des jeweiligen Agierens ist, sondern die Ausrichtung am eingangs erwähnten größeren Gut der Ehre Gottes.
Ähnlich wie beim zeitgenössischen systemischen Ansatz des Herangehens an Problemlagen soll die Fixierung auf einzelne Punkte und die eigene vorgefertigte Meinung aufgehoben werden zugunsten einer inneren Freiheit und weiteren Perspektive, die auch die jeweiligen Gegenüber mit einschließt.

In einer Zeit wie heute, in der Hetzen und anonymes Foulen vor allem im Internet wieder en vogue zu werden scheinen, ist die ignatianische Art des geduldigen Wartens, Argumentierens und Eingehens auf die jeweiligen Gesprächspartner vorbildlich. 

Bei den sich anschließenden Anweisungen zur pastoralen und caritativ-sozialen Arbeit fordert Ignatius seine Mitbrüder dann auch zweimal auf, sich vorzustellen, dass sie das, was sie beim Beichthören oder anderen seelsorglichen Einzelgesprächen sagen, auch öffentlich reden könnten. Diese Haltung innerlicher Transparenz, die auch im großen Kreis keinen Hehl aus der eigenen Einstellung macht, wäre auch heute vielerorts wieder Anlass für kritische Selbstreflexion.
Blick nach oben. Angermünde, 2016.

1   Alle Zitate aus: Ignatius von Loyola, Briefe und Unterweisungen. Übers. von Peter Knauer. Würzburg 1993, Brief 123 an die Mitbrüder in Trient, 113-115.