Sonntag, 17. September 2017

Erbarmen. Im Sandkasten, bei der Bundestagswahl und im Sonntagsevangelium

Mit diesen (hier leicht abgewandelten) Worten war ich heute morgen im rbb zu hören:

Wenn ich mit meiner kleinen Tochter auf den Spielplätzen in unserem Viertel unterwegs bin, fällt mir regelmäßig dieser eine Satz aus der Bibel ein: „Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen?
Eines der anderen Kinder hat meiner Tochter etwas von seinem Sandspielzeug abgegeben. Anstatt nun friedlich miteinander zu spielen, greift meine (sonst natürlich außerordentlich gut erzogene) Tochter im nächsten Augenblick alle ihre Sachen, um nur ja nichts von ihnen abgeben zu müssen.
Zwar kann sie selbst auch nicht mehr spielen, wenn sie alle Schaufeln und Eimer vor den Bauch presst, aber die Verteidigung ihres Besitzstandes ist ihr in diesem Moment viel wichtiger.

Großzügig denken. Blume am Knast.
Plötzensee, 2017.
Das ist eine Alltagserfahrung. Kinderkram, könnten Sie sagen. Aber in dieser Beobachtung steckt mehr. Vielleicht sogar eine menschliche Grunderfahrung. Ähnlich der, von der im Neuen Testament berichtet wird:

Da erzählt Jesus in einem Gleichnis von einem Mann, der von seinem König eine riesige Schuld erlassen bekommt. Der Mann selber aber verhält sich seinerseits bei nächster Gelegenheit äußerst hartherzig gegenüber einem Anderen, der ihm einen läppischen Kleinbetrag schuldet. Der König hört davon, lässt ihn holen und erinnert ihn daran, dass er ihm die ganze Schuld erlassen hat. Dann fällt ebenjener Satz: "Hättest nicht auch du ... Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?" (Mt 18,33) Wegen seiner Unbarmherzigkeit wird der Mann nun ins Gefängnis geworfen.
Nicht nur auf dem Spielplatz ist die Erinnerung nützlich, dass man selbst ja auch nicht anders ist als die anderen und deshalb großzügig sein sollte.

Auch wenn wir aus der Bibel keine direkten Handlungsanweisungen für die Politik ziehen können, lassen sich angesichts der kommenden Bundestagswahl doch zwei Anregungen aus diesem Bibeltext gewinnen.

Für Politiker kann dies eine Aufforderung sein, Selbstgerechtigkeit abzulegen und sich beim harten Auftreten gegenüber dem politischen Gegner darüber klar zu sein, dass die jeweils eigene Meinung auch nur eine Möglichkeit unter mehreren ist, um die Gesellschaft gerechter und besser zu machen.

Die Wähler wiederum kann der Satz des Königs daran erinnern, dass auch Politiker normale Menschen sind, an die keine übermenschlichen Maßstäbe angelegt werden dürfen. Auch Politiker dürfen ihre Meinung ändern und Fehler machen. Bei aller bisweilen berechtigten Kritik an den politisch Verantwortlichen – engstirnige Politikerschelte wäre nach diesem Satz nicht im Sinne Jesu. 

Ob also im Sandkasten oder in der Politik: wenn wir bedenken, dass wir fehlbar und auf die Gunst anderer angewiesen sind, kann uns das helfen, großherziger zu werden.


Eigene Feler einsehen. Knoblauch auf Roter Beete.
Rixdorf, Berlin, 2016.