Montag, 12. März 2018

Lass Dir helfen! vs. Du schaffst das! Gnadentheologie und Erziehung

In der erzieherischen Interaktion mit Kindern, noch dazu den eigenen, stellt sich mir als Theologen immer mal die Frage, welches Gottes- und Menschenbild ich denn durch mein praktisches Handeln vermittle. Konkret formuliert: Wie müssten meine Kinder sich Gott vorstellen, wenn sie (unbewusst) Maß nehmen an meinem Eingehen auf sie und diese Erfahrungen auf ihr Gottesbild übertragen?
Damit will ich natürlich keine quasigöttliche Anmaßung vornehmen, sondern gehe einfach davon aus, dass menschliche Beziehungserfahrungen Einfluss haben auf unsere Vorstellungen von Gott – im Guten wie im Schlechten.


Licht im Abgang.
Melanchthonhaus, Wittenberg, 2015.
Einerseits wünsche ich mir, dass das Urvertrauen, angenommen zu sein und bedingungslos geliebt zu werden, die grundlegende Prägung ist, die dann auch in der langsam wachsenden persönlichen Beziehung zu Gott fruchtbar werden kann.
Andererseits erhoffe ich natürlich, dass durch mein Mitleben Tat- und Entschlusskraft geweckt werden und der Mut zum eigenverantwortlichen Handeln wächst.

Gnadentheologisch ausgelegt gibt es wohl unterschiedliche Phasen und Situationen, in denen mal das eine, mal das andere stärker betont werden müssen. Etwas schematisiert lassen sich drei Vorstellungsmodelle unterscheiden.

1
Das eher paulinisch-protestantische Modell ist das der reinen Gnade, das zum Kind sagen würde:

"Du musst dir meine Liebe nicht erkaufen. Ich schenke sie dir ohne Gegenleistung."

Ein solches Verständnis von Gott und Mensch wäre ganz im Sinne der gestrigen Lesung aus dem Epheserbrief, in dem es hieß: "aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt - , nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann." (Eph 2,8f)

2
Ein anderes, eher mittleres Modell ist das katholisch-orthodoxe, das darauf baut, dass Gott uns zur Mitwirkung mit der Gnade auffordert. Hier wäre der typische Satz an das Kind:

"Mach doch wenigstens ein bisschen mit."

oder, von der anderen Seite:

"Lass dir helfen, damit es klappt."

Beispielhaft dafür steht in der Bibel Maria, deren Zusage "Mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Lk 1,38) die Bedingung für Gottes Handeln an ihr ist. Die freie Einwilligung des Menschen für Gottes Eintreten in dessen Leben eröffnet Raum für ein Beziehungsgeschehen.

3
Das dritte Modell betont die Möglichkeit des Menschen, verantwortlich zu handeln. Religiöse Ethik ist weitgehend auf dieser Vorstellung aufgebaut. Dem Kind gegenüber äußert dieses Denken:

"Das schaffst du doch schon allein. Streng dich etwas an, dann klappt es!"

Die Imperative der Bergpredigt stellen diese Art von Ansprüchen an den Menschen, auch wenn sie oftmals eine moralische Überforderung zu sein scheinen, wenn es darin zum Beispiel heißt: "Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen" (Mt 5,44). Dies dauerhaft aus eigener Kraft schaffen zu wollen, zeugte wohl von starker Selbstüberschätzung, weshalb die Ethik der Bergpredigt eingeordnet werden muss in das Gesamt der biblischen Botschaft.

In der Erziehung ist klar, dass es unterschiedliche Phasen der kindlichen Entwicklung gibt. So wird mal dieses und mal jenes nötig sein.
Vielleicht gilt dies in der Gnadentheologie analog, wenn biblisch gedacht die extremen Straßengräben vermieden werden.
Gesunde Basis einer situativ angepassten Gnadentheologie ist in Erziehung und Theologie nach meiner Meinung eine lebendige Beziehung zwischen Eltern und Kind genauso wie zwischen Gott und Mensch.
Stabile Persönlichkeiten vertrauen dem liebenden Gott – und sich selbst.

Miteinander statt Gegeneinander.
Bauhausarchiv, Tiergarten, Berlin, 2015.