Freitag, 6. April 2018

Die Trauerarbeit des Apostels Thomas

Ich stelle mir den Apostel Thomas als einen Menschen vor, der gut zu trauern gelernt hat.

Denn den anderen Jüngern ließe sich ohne Weiteres unterstellen, sie hätten mit dem Verlust ihres Meisters nicht fertig werden können und befänden sie sich in den Tagen nach Ostern im Zustand des Nicht-wahrhaben-Wollens. So nennt die Psychotherapeutin Verena Kast die Phase des Trauerprozesses direkt im Anschluss an den Tod eines geliebten Menschen.1
Mit dem Tod Jesu, so könnte den Jüngern unterstellt werden, vermögen sie sich nicht abzufinden, weshalb sie Jesu erneute Gegenwart imaginierten.
Die Gestalt des Thomas widerspricht einer solchen Deutung der Auferstehungsbotschaft.

Dunkel und Licht.
Kirche Unserer Lieben Frau in Bremen, 2015.
Denn er ist vom Tod seines Herrn überzeugt und lässt sich nicht umstimmen von den offensichtlich irrealen Erklärungen seiner Mitapostel, dass sie ihn gesehen hätten (vgl. Joh 20,24-29).

Die Phase des Nichtwahrhabenwollens hat Thomas scheinbar schnell hinter sich gelassen und sich stattdessen mit der schrecklichen neuen Realität ohne Jesus abgefunden.
Denn schrecklich stelle ich mir den Verlust dieses geliebten Menschen für Thomas, der Jesus mehrere Jahre über die staubigen Straßen Israels gefolgt ist und mit ihm durch dick und dünn ging, auf jeden Fall vor.
Auch für ihn dürfte gegolten haben, was Kast schreibt:
"Es wird uns kaum je so radikal bewusst wie beim Tod eines geliebten Menschen, in welchem Maß wir uns aus unseren Beziehungen zu anderen Menschen und Dingen verstehen und erfahren, in welchem Maß der Tod einer solchen Beziehung uns aufbricht und eine Neuorientierung verlangt."2

Thomas scheint sich nun schon daran gemacht zu haben, sein Leben neu zu ordnen und die zentrale Bezugsperson seiner letzten Jahre in die Erinnerung zu verabschieden.
Wie vernünftig! Seine grundlegende Erschütterung will er durch "ein neues Verhältnis zur Welt"3 verarbeiten und das gestalten, was nun in der Zeit ohne Jesus vor ihm liegt.

Aber Thomas hat die Rechnung ohne Gottes Eingreifen, ohne die Auferstehung gemacht.
Das berühmte zweifelnde Nichtwahrhabenwollen des Thomas ist ein Nichtglaubenkönnen und weist in die entgegengesetzte Richtung, ist nicht Verweigerung der Todesannahme, sondern dem neuen Leben gegenüber ungläubig. Seine Trauerarbeit muss Thomas völlig anders als gedacht neu ordnen.
Denn Jesus ist zwar tatsächlich den irdischen Tod gestorben und muss verabschiedet werden.

Aber die Auferstehung verlangt nun noch einmal eine gänzlich neue Orientierung.
So wie in jedem Trauerprozess ist auch die Erfahrung des Todes und nun der Auferstehung Jesu eine "Grenzsituation des Lebens, die uns verändern, die uns den Blick für das wirklich Wesentliche frei machen kann".4
Genau das geschieht den Jüngern!
Und obwohl Thomas seinen inneren Abschied von der Zeit mit Jesus schon genommen hatte, dreht er sich noch einmal um und wendet sich Jesus zu.

Aus der Trauer aufzutauchen und sich neu zu finden, die ans Eingemachte gehende "Erschütterung im Selbstgefühl"5 nun noch einmal auszuhalten und sich dann einzulassen auf das, was Jesus will, das erfordert eine ungeheure innere Arbeit.
Meinen Respekt hat er dafür!

Neue Arbeit.
Bagger am Christian-Schreiber-Haus, Grünheide, 2016.
1   Vgl. V. Kast, Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Stuttgart 1982, 61f.
2   Ebd., 13.
3   Ebd., 14.
4   Ebd., 16.
5   Ebd., 20.