Freitag, 27. April 2018

Gottes Nachbarn und unsere Nachbarn. Anstöße von Petrus Canisius und Papst Franziskus

Es gab Zeiten in der Kirchengeschichte, da wurde der Heilige Petrus Canisius, Tagesheiliger und Apostel Deutschlands, stärker verehrt.
Bei einem Blick, den ich auf der Suche nach Anregungen gestern in seinen Katechismus und seine Briefe warf, verstand ich auch, warum das so ist. Denn da ist viel von Abtötung und Gehorsam, Selbstverleugnung und den Demut zu lesen. So viel, dass selbst ich nichts so ansprechend fand, dass ich es gern hier präsentiert hätte.

Nur an einer Formulierung blieb ich hängen: In seinem Katechismus erklärt Canisius auch die Zehn Gebote und beim Ersten Gebot widmet er sich neben dem Gebot der Alleinverehrung Gottes auch der Frage, ob es sich gehöre, die Heiligen zu ehren. In klassischer Unterscheidung antwortet er: "Ja, aber nicht auf die Weise, wie es uns befohlen ist, Gott zu ehren, anzubeten und anzurufen", vielmehr würden die Heiligen als "auserwählte Freunde und Nachbarn Gottes" angerufen.1

Enge Nachbarn.
Friedrichstadtkirche, Berlin-Mitte, 2018.
Diese vielleicht etwas naiv anmutende Formulierung, wonach die Heiligen in sich lokal vorzustellender Weise "Nachbarn Gottes" seien, fand ich reizvoll. Auch der Epheserbrief hatte ja schon von den Christen als "Gottes Hausgenossen" gesprochen (Eph 2,19), aber hier kam es mir das erste Mal ganz interessant vor.

Beim Suchen nach passenden Begleitern dieses Gedankens kam ich auch auf den letzten Text von Papst Franziskus, das Apostolische Schreiben "Gaudete et Exsultate" vom 09. April diesen Jahres.2
Darin möchte der Oberhirte seine Herde zur Heiligkeit ermuntern und beschreibt dafür keine heroischen Großgestalten des Christentums, sondern führt die Leser in den Alltag der Jedermänner und -frauen unserer Lebenswelt. Er preist die Geduld, das Aushalten, die Liebe in der Erziehung und so fort.
"In dieser Beständigkeit eines tagtäglichen Voranschreitens sehe ich die Heiligkeit der streitenden Kirche. Oft ist das die Heiligkeit 'von nebenan', derer, die in unserer Nähe wohnen und die ein Widerschein der Gegenwart Gottes sind" (GE, 7)

Die polnische Version, die ich für meine pastorale Arbeit näher konsultiert habe, übersetzt "Heiligkeit von nebenan" mit "świętość z sąsiedztwa", was wohl mit "Heiligkeit aus der Nachbarschaft" ganz gut wiedergegeben ist.
Da sind sie also wieder, die Heiligen als Nachbarn.

Nun aber als unsere Nachbarn. Heiligkeit, davon spricht auch das Schreiben des Papstes, "wächst durch kleine Gesten." (GE, 16)
"Bist du verheiratet? Sei heilig, indem du deinen Mann oder deine Frau liebst und umsorgst, wie Christus es mit der Kirche getan hat. Bist du ein Arbeiter? Sei heilig, indem du deine Arbeit im Dienst an den Brüdern und Schwestern mit Redlichkeit und Sachverstand verrichtest. Bist du Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter? Sei heilig, indem du den Kindern geduldig beibringst, Jesus zu folgen. Hast du eine Verantwortungsposition inne? Sei heilig, indem du für das Gemeinwohl kämpfst und auf deine persönlichen Interessen verzichtest." (GE, 14)

Auch hier stehen die Gedanken von Selbstverleugnung und -überwindung im Hintergrund, wie sie Petrus Canisius bewegt haben – aber sie stehen eben im Hintergrund und werden durch die direkte und einfache Sprache des Papstes ansprechend.

Und es geht Papst Franziskus um das alltägliche Wachsen als Nachbar aller anderen Menschen, nicht um das ehrfürchtige Sich-Distanzieren von den ach so weit entfernten großen Heiligen, die doch nie zu erreichen sind. "Oft sind wir versucht zu meinen, dass die Heiligkeit nur denen vorbehalten sei, die die Möglichkeit haben, sich von den gewöhnlichen Beschäftigungen fernzuhalten, um viel Zeit dem Gebet zu widmen. Es ist aber nicht so. Wir sind alle berufen, heilig zu sein, indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönliches Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet." (GE, 14)
Und er fügt hinzu: "Lass zu, dass alles für Gott offen ist, und dazu entscheide dich für ihn" (GE, 15).

Mich motivieren solche Worte mehr als die Demut-und-Gehorsam-Sprachspiele des ausgehenden Mittelalters, in denen Petrus Canisius lebte. Selbst wenn das Denken des Papstes und die christliche Spiritualität dieses "alte" Denken immer in sich haben und bis zu einem gewissen Grad in sich haben müssen, so macht doch der Ton gleich eine völlig andere Musik.

Doch auch wenn der Papst die Heiligen als unsere Nachbarn begreift, wenn die reifende Heiligkeit schon nebenan zu finden ist, dann handelt es sich doch gleichzeitig um die nachbarliche Nähe zu Gott. Beides gehört zusammen!
Denn dann bedeutet, Nachbar Gottes zu sein in unserer Welt zugleich, Nachbar der vielen Menschen zu sein, die Gott als Fremden ansehen. Und Zeugnis abzulegen von dieser Nachbarschaft.

Lassen wir uns vom Papst also ruhig auffordern, nachbarschaftliche Menschen zu sein, nah bei Gott und nah bei den Menschen.

Nah beieinander.
Nikolassee, Berlin, 2016.

1   Kurzer Unterricht vom Katholischen Glauben. Der Kleine Katechismus des Petrus Canisius. Dillingen 1560. Frankfurt a.M. 1998 (Geistliche Texte SJ Nr. 20), 43.