Mittwoch, 25. April 2018

Kreuze für Bayern und Kippa für alle. Zwei religiöse Symbole im öffentlichen Raum

In zwei ganz unterschiedlichen Kontexten sind religiöse Symbole in den letzten Tagen wieder Gegenstand gesellschaftlicher Debatten geworden. Zum einen die Attacke auf einen kippatragenden Israeli im Prenzlauer Berg in Berlin durch einen Palästinenser, zum anderen durch die Anordnung, dass in bayerischen Behörden demnächst verbindlich Kreuze hängen sollen.

Einmal geht es um die privaten Ausdruck der persönlichen Religiosität, eine Einzelperson nimmt also ihr Recht auf freie Religionsausübung in Anspruch1 und wird deshalb angegriffen; einmal geht es um die Geste eines sich religiös-weltanschaulich neutral definierenden Staates, der sich augenscheinlich in einer religiösen Tradition verorten will.

Der Lack ist ab im Prenzlauer Berg.
Prenzlauer Berg, Berlin, 2017.
Ein Eindruck und ein Gedanke dazu:

Ich habe dem Aufruf "Berlin trägt Kippa" zwar nicht auf der Demonstration in der Fasanenstraße nachkommen können, bin aber als Ausgleich heute mit einer Kippa durch meinen Alltag gelaufen. Von Neukölln über die S-Bahn bis ins Gefängnis in Charlottenburg. Als kirchlicher Angestellter, der in einer staatlichen Behörde Dienst tut, bin ich an das Berliner Verbot2 des Tragens religiöser Symbole für Staatsbedienstete selbstverständlich nicht gebunden.
Allerdings fühlte ich mich auch etwas eigenartig, dass ich als der bekanntermaßen christliche Seelsorger der JVA mit dem religiösen Symbol einer anderen Religion unterwegs bin. Bezüglich der Kippa habe ich hier zwar keine grundsätzlichen Bedenken, da sich die Kippa meines Wissens nach auf keinen exklusiv jüdischen Glaubensinhalt bezieht, der das Judentum vom Christentum trennen würde. Außerdem trage ich die Kippa ja nicht regulär, sondern nur an einem Tag, an dem zur Solidarität aufgerufen wurde. Aber ich möchte auch nicht den falschen Anschein erwecken, einer Religion anzugehören, zu der ich nun einmal nicht gehöre.

Warum habe ich das also getan?
Als religiöser Mensch halte ich es für wichtig zu zeigen, dass in Deutschland das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit normal ist. Und zwar das Tragen aller religiösen Symbole. Niemand soll sich fürchten müssen, insbesondere nicht die, die sich in Deutschland zu ihrem jüdischen Glauben bekennen. Die Religionsfreiheit muss für jede Religion gleichermaßen gelten.
Gerade als Christ weiß ich um die Verwurzelung meiner Religion im Alten Testament, auf das sich auch die heutigen Juden maßgeblich beziehen und fühle mich darum verpflichtet, diesen meinen "Geschwistern" meine Solidarität zu zeigen. Außerdem sehe ich die Zuwendung zu allen Verfolgten und Gepeinigten als einen Grundzug praktischer christlicher Religiosität an – und sei es durch den symbolischen Ausdruck von Solidarität.

Es haben sich übrigens einige spannende Gespräche vornehmlich mit Bediensteten des Justizvollzugs ergeben, Gespräche, die sich bei der Ausübung meiner normalen Arbeiten als christlicher Seelsorger nicht ergeben.

2
Dass nun ausgerechnet der bayerische Staat autoritativ religiöse Symbole anbringen lässt, halte ich in einem weltanschaulich neutralen Staat nicht für hilfreich. 

Symbolfreier öffentlicher Raum.
Rathaus Neukölln, Berlin, 2018.
Es entwertet das Zeichen als Symbol der Religion, wenn es in den Staatsdienst einbestellt wird. Davon zeugt auch die Aussage des bayerischen Ministerpräsidenten Söder, dass das Kreuz nicht Zeichen einer Religion sei. Eine solche Haltung meint, das Kreuz zu ehren, wenn es auf das gesellschaftliche Parkett manövriert wird, aber solche Gesten entleeren dieses Symbol nur.
Selbst wenn die Mütter und Väter des Grundgesetzes bei ihrer Arbeit am Grundgesetz zu großen Teilen christlich motiviert waren und selbst wenn einzelne Personen, die in den jeweiligen Behörden arbeiten, sich (und das halte ich persönlich für sehr wichtig!) mit dem Christentum und seinen Werten identifizieren, so ist die Institution doch keine religiöse und auch keine religiös geprägte, sondern eine säkulare. Das sollte auch deutlich sein, besonders in Zeiten der Migration aus nicht mehrheitlich christentümlich geprägten Staaten.

Angesichts der zunehmenden Erosion des christlichen Glaubens in der bundesdeutschen Gesellschaft wirkt eine solche Anordnung wie ein illusionäres Rückzugsgefecht. Das Kreuz ist ein leeres Zeichen, das doch eigentlich für etwas Anderes, für einen Inhalt stehen sollte. Aber weder die mit dem Kreuz zusammenhängenden Glaubensinhalte noch die damit verbundenen Werte sind hier von Bedeutung – es geht allein um das Zeichen. Und das ist leer.

Gerade die christsozialen Unmenschlichkeiten in der Migrationspolitik machen die jetzige Geste zu einer Lachnummer. Wenn ich eben die Zuwendung zu den Gepeinigten und Verfolgten als grundlegenden Teil christlicher Glaubenspraxis benannt habe, dann gilt das auch und besonders dort, wo Menschen aus anderen Ländern der Welt nach Deutschland kommen (wollen).

Vielleicht ist es ja meine ostdeutsche Sozialisation – aber ich halte die strikte Trennung von Staat und Kirche, bei ausdrücklich wohlwollender Kooperation (!) für eine wichtige Errungenschaft der Aufklärung. Ich möchte von Seiten des Staates weder (wie in meiner Kindheit) mit staatssozialistischem Gedankengut zwangsbeglückt werden noch mit einer bestimmten Religion (und sei es die meine!).
Dafür aber möchte ich gleichzeitig, und das steht in striktem Gegensatz zum Weg der Berliner Säkularität, die Möglichkeit haben, als Privatperson auch im öffentlichen Dienst meinem Glauben Ausdruck zu geben und will weder in Schule noch Religion mit Religionslosigkeit als Nonplusultra bevormundet werden.

Kurz: Ich halte weder das Kreuz in Gerichten für sinnvoll noch die Propagierung von Religion als bloße Privatsache.
Gut zusammengefasst hat dies Ulrich Rhode aus staatskirchenrechtlicher Sicht:
"Der Grundsatz der religiösen Neutralität des Staates verbietet nicht nur eine formelle Verbindung des Staates mit bestimmten religiösen Anschauungen oder Gemeinschaften; sondern er verbietet dem Staat zugleich eine einseitige Einflußnahme auf die religiösen Anschauungen der Bürger." Diese "einseitige Einflußnahme" bedeutet, dass der Staat als Staat nicht "zugunsten oder zu Lasten bestimmter religiöser Auffassungen Einfluß ausüben" darf.3

Aus genau den gleichen Gründen soll also jeder seine Kippa oder ein sonstiges religiöses Symbol angstfrei tragen dürfen und zugleich vom Staat keine bestimmte Religion als normgebend vorgesetzt bekommen. Darum sollte der Staat den Mut und die Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger fördern, ihre Religion in der Öffentlichkeit zu bekennen und sich selbst mit solchen Bekundungen eher zurück halten.
Ich will keine bayerischen Kreuze, sondern Berliner Kippas. 

Religiöses Symbol im offenen Raum.
Kirchmöser, Brandenburg, 2017.

1   Auch wenn der konkrete Fall anders gelagert ist und der junge Israeli kein Jude ist, wurde er doch gerade darum angegriffen, weil seine Angreifer glaubten, er würde sich mit diesem Zeichen zum Judentum bekennen wollen.

2   Der Text der wesentlichen Passagen lautet: Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin; Präambel:
Alle Beschäftigten genießen Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Keine Beschäftigte und kein Beschäftigter darf wegen ihres oder seines Glaubens oder ihres oder seines weltanschaulichen Bekenntnisses diskriminiert werden. Gleichzeitig ist das Land Berlin zu weltanschaulichreligiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die Bürgerin oder der Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.
§ 1 Beamtinnen und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind, dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt im Bereich der Rechtspflege nur für Beamtinnen und Beamte, die hoheitlich tätig sind. [...]
Zit. nach: https://www.ulrichrhode.de/docs/Religioese_Symbole.pdf Dieser Text bezieht sich vornehmlich auf die Frage des Kopftuchtragens, bietet aber einige grundsätzliche Erwägungen.


3   U. Rhode, Religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen. In: https://www.ulrichrhode.de/docs/Religioese_Symbole.pdf